Man sollte sich nicht dümmer machen, als man ist, schon gar nicht aus politischen Gründen. Wolf Lepenies (67), Soziologieprofessor und Wissenschaftsmanager, schreibt in der Berliner Welt einen Artikel (über Julien Green), und darin steht, das von Hitler regierte Deutschland habe 1940 Frankreich „überfallen“ und mit Krieg überzogen. Weiß denn Professor Lepenies nicht, daß Frankreich – wie auch Großbritannien – dem Deutschen Reich am 3. September 1939 infolge des Beistandspaktes mit Polen den Krieg erklärt hatte und daß also im Mai 1940, zu Beginn der deutschen Offensive, ganz offiziell Kriegszustand zwischen den beiden Ländern herrschte? Man kann natürlich sagen, die Kriegserklärung Frankreichs und Großbritanniens von 1939 sei berechtigt gewesen und die eigentliche Schuld am Krieg habe bei Deutschland gelegen. Aber selbst wenn das stimmt, macht es aus der deutschen Offensive keinen Überfall. Diese war völkerrechtlich legitimiert, und sie war militärisch kalkulierbar. Wer hier trotzdem von „Überfall“ spricht, pflegt eine verwilderte, unpräzise und mißverständliche Rhetorik, die in wissenschaftlichen, auch literaturwissenschaftlichen Texten nichts zu suchen hat. Übrigens haben auch schon 1870 nicht die Deutschen den Franzosen, sondern die Franzosen den Deutschen bzw. den Preußen den Krieg erklärt. In deutschen Gymnasien weiß das faktisch kein Schüler mehr, was dem Niveau des dortigen Geschichtsunterrichts ein deprimierendes Zeugnis ausstellt. Deutschland hat am 3. August 1914 Frankreich den Krieg erklärt. Um historische Fakten geht es dort schon lange nicht mehr, alles ist – wie mittlerweile überall – auf die Bedienung von aktueller politischer Korrektheit, auf die Erzeugung von Mythen und Dauerrankünen abgestellt. Um so wichtiger wäre, daß sich wenigstens bereits emeritierte, behördlich also unabhängige und Eigenkompetenz abstrahlende Medienfürsten wie Lepenies eines exakten, sachlichen Vokabulars befleißigten. Das ist eigentlich das mindeste, was man von ihnen erwarten darf.