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Im giftigen Licht der Moderne

Im giftigen Licht der Moderne

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Im giftigen Licht der Moderne

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Auf eine Abreißpalette drückt Bisky etwas blaue, fast schwarze Farbe aus einer frischen Tube. Dann setzt er den linken kleinen Finger in den Klecks und zieht aus der Schwärze eine überraschend durchscheinende, lichtblaue Spur heraus. Seine Lieblingsfarbe, sagt er, Heliogenblau.

Die Farbe ist giftig. So giftig wie das Blau, aus dem das Licht kommt, waren auch schon seine frühen Arbeiten, wenn man denn bei einem 37jährigen von „früh“ überhaupt sprechen kann, Arbeiten, die luminose Jünglinge in frischer Sportlichkeit zeigten.

Lange galt Bisky deshalb als einer, der süßliches Dekorum fürs schwule Eigenheim pinselte. Seine Ikonographie trug ihm den Vorwurf ein, er aktualisiere lediglich Versatzstücke wahlweise nazistischer oder sozialistischer Propaganda-Pop-art ohne tieferen Sinn. Dabei fehlte den Posen seiner Figuren immer schon das Pathetische aller Propaganda­kunst.

Scheinbare Harmlosigkeit seiner ersten Arbeiten

Seither hat Bisky die scheinbare Harmlosigkeit seiner ersten Arbeiten immer weiter abgetragen, bis schließlich ein Äußerstes an Schrecken zum Vorschein kam. Aber auch ein großes Aufbegehren. Und auch die frühen Bilder, sagt er heute, seien bereits apokalyptisch gewesen.

Die einst gleißenden Farben sind inzwischen kräftigeren, satteren und dunkleren Tönen gewichen, wie man in einer kleinen, aber subtil konzipierten Ausstellung mit Werken Biskys aus den letzten beiden Jahre im Haus am Waldsee in Berlin besichtigen kann.

Zu sehen sind überdies neun Bilder von für Biskys Schaffen bedeutsamen Künstlerkollegen, unter anderem Nicole Eisenman, Anthony Goicolea, K.R.H. Sonderborg und seinem Lehrer Georg Baselitz.

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Wahrheit als zynische Negation formulieren

Die Ausstellung beginnt mit einem großen Nein. Die Negation ist, wie das Paradox, bei Bisky programmatisch. Die thematische Klammer zwischen seinem frühen und aktuellen Schaffen ist der Titel der Ausstellung selbst: „ich war’s nicht“, der sich auf ein Werk aus dem Jahr 2003 bezieht und der paradoxerweise zugleich ein Ausruf der Selbstbehauptung, wenn auch nicht der vollendeten Individualität ist.

Das Bild ist fundamental und doch abwesend. In der Ausstellung ist es nicht zu sehen. Es zeigt eine fast choreographische Erschießungsszene unter pinkfarbenem Himmel und Wolken aus nichts als leerer Leinwand.

Vier stereotype blonde Volksarmisten in wehrmachtsgrüner Uniform feuern aus kleinen Pistolen, oder sind doch im Begriff, es jeden Augenblick zu tun. Auf wen sie zielen, sieht man nicht. Zwar steht ein lichter, blonder Jüngling mit der brutalen und immoralistischen Lässigkeit der Adoleszenz vorne links im Bild und fängt die Bewegung der zum Zielen ausgestreckten Arme ein.

Die Kugeln flögen vorbei

Doch würden die Soldaten wirklich schießen, die Kugeln flögen hinter ihm vorbei. Er ist es also nicht, dem ihre Schüsse gelten. Und was die Schützen angeht – gleichgültig, ob sie schießen oder nicht, mit Recht könnte jeder von ihnen sagen: „Ich war es nicht“, weil ein Ich weder bei dem Jüngling noch den Schützen zu entdecken ist.

Sie sind identische Stereotypen: Die Lässigkeit der Adoleszenz geht bruchlos über in ein Dasein als Funktion abstrakter Gefüge.

Dieses Thema kehrt auch in der aktuellen Ausstellung wieder, aber nun mit merklich anderer Note. In den Bildern „Rotz und Wasser I-IV“, „Psychonaut“ und „Stadt des Teufels“ beginnen die Figuren sichtbar zu leiden. Der Höhepunkt der Schau ist denn auch eine Christus-Inkarnation.

Der Bildtitel „ich war’s nicht“ ist überdies selbstbezüglich, denn die dargestellte Szene stammt nicht von Bisky. Goya war’s, der, neben Tiepolo, den Bisky einen „Gleichgesinnten“ nennt, diese und noch manch andere Szene für die Bilderwelt Biskys stiftete. Und bereits Goya hatte eine Kunst daraus gemacht, die Wahrheit in zynischer Negation zu formulieren. Seine „Capriccios“ sind keine heiteren Launen, sondern finstere Alpträume.

Erinnerungen an Goyas „Erschießung der Aufständischen“

Biskys Erschießungsszene zitiert Goyas „Erschießung der Aufständischen“ (1814), das Bisky bei seinem Aufenthalt in Madrid (1995) im Prado gesehen und wie manch anderes dort ausgestellte Bild kopiert haben mag. Indes, die Vorzeichen scheinen verkehrt: Während bei Goya das Geschehen offensichtlich ist – die Leichen bereits Hingerichteter liegen am Boden –, bleibt bei Bisky rätselhaft, ob sich überhaupt etwas ereignet.

Was bei Goya in tiefster Nacht geschieht, findet bei Bisky am hellen Mittag statt. Die „Schwarzen Bilder“ Goyas büßen aber offenbar nichts von ihrem Horror ein, wenn man sie ins blendende Licht einer Moderne verlegt, in der das Licht der Aufklärung und das der Leuchtreklamen ununterscheidbar geworden sind.

Im Licht liegt jetzt, ganz antiplatonisch, die Verblendung. Das zeigt, daß selbst nach Umkehrung der Vorzeichen die Aussage am Ende dieselbe bleibt. Dieses dialektische Schillern von Ikonographie und Bildinhalten trägt ein Gutteil zur Hermetik des Werkes bei.

Reminiszenzen an Goyas grausiges Bild „Saturn“

Daß Biskys frühe Jünglinge mehr sind als bloße Abziehbilder, offenbart das ebenfalls ausgestellte Werk von Nicole Eisenman, „Shit Falls“ (2003), das Bisky zu seinem Lieblingsbild erklärte, sowie Anthony Goicoleas Fotomontagen „Poolpushers I“ (2001) und „Premature“ (1999).

Zu sehen sind bei Eisenman rund fünfzig nahezu geschlechtslose, nackte, gleichmütige Wesen, nur dürftig als Männer und Frauen zu erkennen, in einer gelb-braunen Vorhölle, teils mit Darmentleerung beschäftigt. Das Bild könnte als Illustration der Aufhebung jeder Individuation in Zeiten des Gender Mainstreaming gelten.

Goicoleas „Poolpushers“ zeigt Goicolea selbst in einem Schwimmbad in knabenhafter Anmutung mit blauer Badehose, Badekappe und Tauchbrille. Doch Goicolea erscheint nicht nur einmal, sondern in dreißigfacher Reinkarnation seiner selbst: als dichter Schwarm von Schwimmern und Tauchern im Becken, als teilnahmslos am Rande sitzender Badegast und als im Taucherschwarm fischender Bademeister. Die scheinbar stereotype Gestalt nähert sich als Summe szenischer Fragmente eigener Individualität zumindest an.

Reminiszenzen an das grausigste Bild der Kunstgeschichte

Umgekehrt war auch die Stereotypie Biskyscher Jünglinge nie erschütterungsfrei: Nicht selten erleiden sie eine regelrechte Krisis, die in dem Verzehrenden als übergreifendem Thema jener Bilder liegt, sei es als Kannibalismus – mehrere Bilder Biskys sind Reminiszenzen an das grausigste Bild der Kunstgeschichte: Goyas „Saturn“–, sei es durch Feuer, das entweder unvermittelt aus den blonden Jünglingen schlägt, oder in das sie hineinlaufen oder das sie geistesabwesend betrachten.

Wie sehr Feuer und Physis dieser Figuren zusammengehören, zeigt sich darin, daß Haut und Haar der Jünglinge wie der Widerschein lodernder Flammen wirken.

Dieser Topos spitzt sich in den aktuell gezeigten Bildern zu. Immer noch ist die Identität der Figuren auf Physisches reduziert, aber nun bricht und strömt es aus ihnen als Feuer, Speichel, Urin oder Auswurf heraus. Das im Stereotyp verborgene Ich manifestiert sich in der Dynamik dieser „Materien“.
Im Bild „Sputum“ (2007), dem Porträt eines dunkelhaarigen, grünäugigen Mannes vor braun-schwarzen Hintergrund, erreicht dieser Topos einen ersten Höhepunkt. Aus seinem halbgeöffneten Mund bricht eine rote Fontäne. Der Bildtitel legt nahe, daß es sich um blutigen Auswurf handelt. Es könnte ebensogut ein Lavastrom sein.

Um Hals und Schultern zieht sich eine schmale nebelweiße Aura, die sich nach oben in kleinen Bläschen auflöst. Ein unbestimmter Schwarm grau-weißer Geier umschwirrt den hervorbrechenden Auswurf.

Die radikalste Antwort auf die entindividualisierten Stereotypen früherer Bilder ist jedoch das Gemälde „Drahtzieher“ (2007): Vor dunklem, heliogenblauen, von schmalen weißen Wolkenfetzen durchzogenen Himmel ragen links und rechts und im unteren Bildhintergrund drei Schiffs- oder Strommasten wie die Kreuze zu Golgatha ins Bild, die auf verwirrende Weise durch feine schwarze, rote und gelbe, girlandenartige Drähte miteinander verbunden sind.

Von links oben, mit den Kniekehlen auf einer Art Kometenbahn aufgehängt, baumelt kopfunter ein nackter, in netzförmiger Ganzkörperfesselung nach Art von Bondage-Fesselungen in Karada-Technik gebundener Mann, mit zurückgeworfenem Kopf und zum Schrei geöffneten Mund wie eine zeitgemäße Inkarnation des leidenden Christus am Kreuz.

Für die serbische Performance-Künstlerin Marina Abramovic, auf die sich Bisky ebenfalls bezieht, ist die Unfähigkeit des uniformen modernen Menschen, sich des eigenen inneren Universums im Schmerz zu bemächtigen, Ausdruck seiner geistigen „Invalidität“. Biskys neue Bilder müßten demnach als Zeichen einer anachronistischen Gesundung verstanden werden.

Die Ausstellung „Norbert Bisky – Ich war’s nicht“ ist bis zum 13. Januar 2008 im Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, täglich von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Der kleine Katalog (96 Seiten) kostet 14,80 Euro. Tel. 030 / 8 01 98 35.

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