In der Tageszeitung Die Welt hat im vergangenen Monat ein bemerkenswerter Schlagabtausch stattgefunden. Er begann mit zwei Artikeln des Bestsellerautors Daniel Jonah Goldhagen. In einer Rezension zu dem neuen Buch des Historikers Peter Longerich zum Verhalten der Deutschen während der Judenverfolgung warf er unter der Überschrift „Sie wußten und sie wollten“ Longerich vor, nicht klar genug herausgearbeitet zu haben, „daß die meisten Deutschen mit dem Eliminierungsprogramm übereinstimmten“. Damit hatte sich der Erfinder des „eliminatorischen Antisemitismus“ der Deutschen erneut zu Wort gemeldet, der seine These von niemandem widerlegen läßt, denn schließlich hat er sie selber erfunden. Auch der „berühmte deutsche Widerstand“ – wie Goldhagen höhnisch schreibt – habe überwiegend aus Antisemiten bestanden. Würde ein deutscher Historiker sich unterstehen, einem anderen Volk in vergleichbarer Weise eine vergleichbare Kollektiveigenschaft zuzuschreiben, er hätte mir einer Klage wegen Volksverhetzung zu rechnen. Der andere Artikel beschäftigte sich mit der Ansprache von Papst Benedikt XVI. im KZ Auschwitz, die weltweit mit Respekt registriert wurde. Nicht so Goldhagen. „Benedikts Geschichtsklitterung ist ein moralischer Skandal“, wetterte er, denn ihm war aufgefallen, daß der Papst „jedwede Verbindung von katholischer Kirche, Christenheit und dem Holocaust“ verschleiert hatte. Klar und deutlich hätte er zum Ausdruck bringen müssen: „Welche Unterschiede auch immer es zwischen dem Antisemitismus der Nazis und seinem christlichen Saatbeet gab, der Antisemitismus bleibt die unvermeidliche kausale, historische und moralische Verbindung zwischen der Kirche, den Nazis und Auschwitz.“ Der Holocaust war also nicht nur ein deutsch-nationales, sondern ein christlich-abendländisches Projekt. Meint Goldhagen. Wer seine Publikationen ein wenig verfolgt, den haben seine Ausfälle nicht überrascht. Die Überraschung bestand vielmehr darin, daß in derselben Zeitung ein Redakteur den Mut zu einer Erwiderung fand, die auf den üblichen „Halten zu Gnaden“-Gestus verzichtete, wie ihn schon Schiller in „Kabale und Liebe“ karikiert hat – der Bürgerliche sieht sich aufgrund feudaler Konvention und Machtverhältnisse gezwungen, den fürstlichen Tyrannen seines unterwürfigsten Respekts zu versichern, nach dem Motto: Zwar sind Sie ein Schuft und Dummkopf, Durchlaucht, aber – halten zu Gnaden! – meine höchste Verehrung! Attribute eines modernen Sektenführers Konrad Adam bestritt in zwei deftigen Entgegnungen Goldhagens Kompetenz als Historiker und beschrieb ihn als Inquisitor, Geschäftsmann und Machtpolitiker. Er betrachte „sich als Experten, als Fachmann für den Holocaust, und wünscht in dieser Rolle keine Konkurrenz. Sowohl der Papst wie auch Longerich haben sein Stammrevier verletzt, dort sogar Spuren hinterlassen, und das bekommen sie zu spüren.“ Als Goldhagen zur Gegenreplik ausholte, stellte Adam, anstatt klein beizugeben, nochmals klar: „Goldhagen ist ein Manichäer, der ganze Völker vor seinen Richtstuhl zerrt und sie dann in Schafe und Böcke, in oben und unten, in gut und böse sortiert. Tertium non datur heißt seine Maxime, die ihm auf alle Fragen eine einfache Antwort erlaubt. Er will, wie er verrät, den Judenmord verstehen und erklären; aber er erklärt nichts und versteht nichts. Sein Weltenrichtertum ist, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen, bemerkenswert ahistorisch.“ Damit wäre eigentlich alles gesagt, wenn man davon auszugehen könnte, daß seine öffentliche Wirkung damit erledigt wäre. Doch dies steht nicht zu erwarten. Warum eigentlich nicht? Nun, Goldhagen sieht gut aus und verfügt über bedeutend mehr Sex-Appeal, als Büchermenschen gewöhnlich aufweisen. Er hat ein, zwei steile Thesen aufgestellt, die, wenn man sie nur oft genug wiederholt, irgendwann in verwirrten Hirnen Wurzeln schlagen, zumal in deutschen, wo er überdies die Bereitschaft zur Betroffenheit voraussetzen kann. Goldhagen hat wesentliche Attribute eines modernen Sektenführers. Sein Schritt (von Entwicklung läßt sich nicht reden) von „Hitlers willigen Vollstreckern“ (1996), wo die Deutschen als prädestiniertes Tätervolk erscheinen, zum Angriff auf den Papst und die Katholische Kirche ist nur logisch für jemanden, der an einer Zivilreligion baut, die sich um den Holocaust rankt. Die Katholische Kirche ist die älteste, ehrwürdigste und, wenn man ihre religiöse, geistige und geschichtliche Bedeutung in Rechnung stellt, wohl immer noch mächtigste abendländische Institution. In seinem Buch „Die katholische Kirche und der Holocaust“ (2002; JF 01/03) hatte er ein ganzes Reformprogramm entworfen, um ihren gewaltigen Bau mit neuen Inhalten zu füllen. Man hat den Eindruck, Goldhagen wolle sich als Chef der Glaubenskongregation ins Gespräch bringen und damit das Amt anstreben, das Benedikt vor der Papstwahl innehatte. Er zielt auf ein globales theologisches Projekt, für das Deutschland aber die politische und propagandistische Operationsbasis bleibt und den Deutschen die Kontrastfunktion des Pariavolkes zugedacht ist. „Kein deutscher Wissenschaftler, kein mehrheitsfähiger deutscher Politiker würde es heutzutage wagen, Benedikts mythologisierte Darstellung der Vergangenheit vorzubringen.“ Es wirkt schon komisch, wenn ein Mystifizierer der Geschichte einem anderen ihre Mythologisierung vorwirft. Goldhagen hat aber insoweit recht, als er die deutschen Neurosen benennt, um deren Bestand er – und das ist der unmittelbarste Grund seiner Papst-Kritik – jetzt fürchtet. Denn sie sind die Basis seiner öffentlichen Bedeutung. Wenn man sich bei amerikanischen Freunden, die sogar weit im linksliberalen Lager stehen, ironisch darüber beschwert, was für einen komischen Vogel sie uns da gesandt haben, bekommt man zur Antwort: „Was haben wir damit zu tun? Ihr Deutsche habt ihn doch erst bedeutend gemacht! Ohne euch wäre auch bei uns keine Rede von ihm!“ Geistige Maßstäbe sind verlorengegangen Wenn das alles klar und Goldhagens Größenwahn ist, warum erhält er dann in der Literarischen Welt eine Plattform, von der aus er sein ätzendes Gift verspritzen darf? Seinen Anhängern gilt er als intelligenter Synthetiker von Ideen- und Realgeschichte. Sie bemerken gar nicht mehr, daß er kaum ein Discount-Niveau erreicht. Diese allgemeine Verdummung ist der Preis dafür, daß der größte deutsche Ideengeschichtler der Gegenwart, Ernst Nolte, viele Jahre kaltgestellt wurde. Damit sind geistige Maßstäbe verlorengegangen. Der zweite Grund ist wohl die Annahme der Oberen im Springer-Verlag, mit der Hätschelung Goldhagens der fixierten Selbstverpflichtung nachzukommen, der Versöhnung zwischen Juden und Deutschen zu dienen. Es handelt sich freilich nur um das selbstverständliche Anliegen eines jeden anständigen Deutschen, dazu braucht man kein Verlagsstatut. Solche bürokratischen Akte fördern, wie man sieht, nur die Entstehung von diskursiven Tabuzonen, in denen Dünnbrettbohrer ihre Komplexe pflegen und egoistischen Interessen nachgehen. Erfreulich, daß jetzt auch Journalisten aus dem eigenen Haus nicht länger für sich behalten, daß sie das im Prinzip genauso sehen. Foto: „Welt“-Journalist Konrad Adam, US-Autor Daniel Goldhagen: „Goldhagen ist ein Manichäer, der ganze Völker vor seinen Richtstuhl zerrt“
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