Schlechte Reklame gibt es nicht. Oder doch? Große Hollywood-Studios jedenfalls scheinen dieser Binsenweisheit aus der PR-Branche immer weniger zu vertrauen. Eigentlich müßte an dieser Stelle das große Filmereignis der Woche stattfinden, der Kinostart von Ron Howards „The Da Vinci Code – Sakrileg“. Das hat Sony Pictures vereitelt, indem man sämtliche Pressevorführungen weltweit auf das Datum der Premiere beim Filmfestival in Cannes am 17. Mai ansetzte – genau einen Tag, bevor „The Da Vinci Code“ hierzulande in die Kinos kommt, und damit zu spät für den Redaktionsschluß nicht nur der jungen freiheit. Statt dessen dürften vielerorten üppig bebilderte Schaumnummern erscheinen, die andächtig die sattsam bekannten Statistiken des „Da Vinci“-Phänomens nachbeten, als bedürfte dieser Film noch derartiger Gratis-Promo. An der von den Verantwortlichen zitierten Angst vor Raubkopien, die der Filmindustrie angeblich Jahr für Jahr Millionenschäden zufügen, kann es kaum liegen. Denn die von den veranstaltenden Agenturen ohne jeden Hauch von Selbstironie so bezeichneten „Sicherheitsvorkehrungen“ bei Pressevorführungen sind mittlerweile drakonischer als am Flughafen: Dort darf man nach der Ausweiskontrolle und dem Gang durch den Metalldetektor Handtasche, Regenschirm, Jacke, Hut und selbst das Mobiltelefon wieder einsammeln, statt sie an einer „bewachten Garderobe“ abgeben zu müssen. Nein, nicht Piraterie dürfte Sony fürchten, sondern vielmehr die mit scharfen Zungen und spitzen Federn bewehrte Phalanx der professionellen Nörgler, Mäkler, Besserwisser und Spaßverderber. Popcorn-Spektakel wie „The Da Vinci Code“, die ihren kommerziellen Erfolg weniger der Mundpropaganda als aufwendig inszenierten Werbekampagnen verdanken, müssen bereits am ersten Wochenende ihres Anlaufens Mammutsummen einspielen, um trotz immenser Produktionskosten Profite zu erzielen. Vorher erscheinende Verrisse könnten die Wirkung monatelanger Plakat- und Anzeigenaktionen zunichte machen. So verzichten die Verleihfirmen gerade bei Genrefilmen zunehmend ganz auf Pressevorführungen. Sony sagte jüngst sogar bereits angekündigte Termine in letzter Minute wieder ab. Um derlei Mätzchen zu honorieren, hat der einflußreiche US-amerikanische Filmkritiker Roger Ebert neben dem bewährten „Daumen hoch“ und „Daumen runter“ zwar nicht den Stinke-, aber immerhin den erhobenen Zeigefinger in sein Arsenal aufgenommen. In anderen Fällen bekommen Journalisten Maulkörbe angelegt: Beim „Herrn der Ringe“ etwa bestand eine befristete Schweigepflicht, und den Rezensenten von „Flightplan – Ohne jede Spur“ wurde im Presseheft nahegelegt, bestimmte Elemente der Handlung bloß nicht preiszugeben. Von dem medialen Rummelplatz kann man halten, was man will. Gewiß deckt sich der Geschmack eines Massenpublikums nicht immer mit den ästhetischen Ansprüchen der Feuilletonschreiber, und mancher mag es vorziehen, sich ein eigenes Bild zu machen. Indes ist die PR-Maschinerie der Studios stets gerne bereit, der Presse lauwarme Informationen über die ausgefallenen Hobbies oder liebenswerten Allüren ihrer Stars zu füttern, damit ihr Produkt ja in aller Munde bleibt. Auch die kürzlich durchgesickerte und prompt an allen Ecken und Enden des Blätterwalds breitgetretene Information, die auf strengste Geheimhaltung eingeschworenen Zuschauer der Testvorführungen hätten sich über Tom Hanks‘ „scheußliche“ Frisur mokiert, wird letztlich niemanden vom Kauf einer Eintrittskarte abhalten. Dafür hat sie reichlich für Gesprächsstoff gesorgt und bis hinter die sieben Berge, wo die sieben Zwerge womöglich noch nie vom „Da Vinci Code“ gehört haben, Neugier geweckt. Inwieweit der Film die Erwartungen der vielen Millionen Leser von Dan Browns Romanvorlage, geschweige denn die Befürchtungen des Vatikans (JF 20/06) erfüllt, muß sich dieser Tage erweisen. Die Geheimniskrämerei seiner Verleihfirma läßt manchen Kritiker Schlimmes ahnen – ein Gütesiegel, soviel steht jetzt schon fest, ist sie jedenfalls nicht. „The Da Vinci Code – Sakrileg“ läuft seit Donnerstag dieser Woche in den Kinos. Eine Besprechung erfolgt in der nächsten Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT. Fotos: Mönch Sila (Paul Bettany), Sophie Neveu, Robert Langdon, Robert Langdon (Tom Hanks) und Sophie Neveu (Audrey Tautou) stehen vor einem Rätsel