Herr Professor Frey, landauf, landab wird derzeit die „Bibel in gerechter Sprache“ beworben. War die Luther-Bibel denn „ungerecht“? Frey: Nicht nur die Luther-Bibel, auch die hebräischen und griechischen Texte und Autoren waren nach der Überzeugung der Initiatoren dieser Übersetzung ungerecht. Deshalb wird an den Texten herumredigiert, bis sie in die vermeintlich „gerechte“ Ideologie der Herausgeber passen. Ist das überhaupt noch eine Übersetzung? Frey: Nein, allenfalls eine Übertragung und inkonsequente Umschreibung der Texte. Als Übersetzung ist sie zutiefst ungerecht – den Texten gegenüber. Sie verfälscht, auch wenn dies in wohlmeinender Absicht geschieht. Das ist Irreführung der Leserinnen und Leser, die nicht prüfen können, was wirklich dasteht. „Soziale Gerechtigkeit“, „Geschlechtergerechtigkeit“ und „Gerechtigkeit im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog“ werden als wichtige Aspekte der „Bibel in gerechter Sprache“ benannt. Welchen Stellenwert hatten diese Aspekte für die Autoren der biblischen Texte? Frey: Geschlechtergerechtigkeit ist ein modernes Thema, für das die biblischen Autoren, unter denen vermutlich eben doch keine Frau war, noch nicht sensibilisiert waren. Soziale Gerechtigkeit ist sehr wohl ein biblisches Thema bei den Propheten oder auch bei Jesus. Die Fragen des jüdisch-christlichen Dialogs, die wir heute gewiß ernst nehmen müssen, stellten sich für die neutestamentlichen Zeugen anders. Paulus und Petrus und der Johannes-Evangelist waren geborene Juden. Dies begründet oft die Schärfe der Auseinandersetzung, die heute gewiß der Erklärung bedarf. Aber wer an den Texten einfach „herumdoktert“, bis sie passen, wird ihnen nicht „gerecht“. Ist nicht eine Grenze überschritten, wenn die „Bibel in gerechter Sprache“ den Pharisäern noch „Pharisäerinnen“ und den Jüngern „Jüngerinnen“ an die Seite dichtet? Frey: Das meine ich in der Tat. Über die Jüngerinnen kann man gewiß diskutieren. Aber bei den Pharisäern, die nach Matthäus 23,2 „auf der Kathedra des Mose sitzen“, ist das anders. Im palästinischen Judentum jener Zeit waren religiöse Bildung, die Zugehörigkeit zu einer Religionspartei und religiöse Lehre Sache der Männer. Frauen waren dazu weder verpflichtet noch nach der gesellschaftlichen Konvention befugt. Wer sich also „Pharisäer und Pharisäerinnen“ im Disput mit Jesus vorstellt, zeigt damit schlicht, daß er oder sie vom antiken Judentum historisch nichts versteht und heutige Ideale in die Texte einträgt. Was ist von dem Vorstoß zu halten, dem alttestamentlichen Gottesnamen wechselnde, teilweise weibliche Übersetzungen zu geben? Frey: Für Gott gibt es im Alten Testament durchaus mütterliche Bilder. Doch die immer wieder wechselnden oder wahlweise vorgeschlagenen Wiedergaben verwirren, und niemand weiß, was an einer Stelle wirklich steht. Wenn der Gottesname mit „Adonaj“ wiedergegeben wird, dann ahmt dies zwar traditionell-jüdischen Lesegebrauch nach, ist aber für heutige, zumal unkundige Leserinnen und Leser unverständlich. Und wenn das Neue Testament im Anschluß an das griechischsprachige Judentum den Gottesnamen mit „kyrios“ („der Herr“) übersetzt, dann wird das von den Übersetzern ins hebräische Adonaj korrigiert, als ob die griechischsprachigen Juden und Christen in Alexandrien, Korinth oder Rom dies jemals so gesagt hätten. Hier wird nicht ‚das jüdische Textverständnis‘, sondern eine bestimmte Richtung des damaligen Judentums einseitig bevorzugt – und das historisch zu Unrecht. In der Einleitung zur „Bibel in gerechter Sprache“ heißt es, das Projekt verantworte sich auch wissenschaftlich. Zeigt sich hier also ein Trend, den wir von der evangelischen Universitätstheologie künftig zu erwarten haben? Frey: Man darf sich von den akademischen Titeln der Beteiligten nicht blenden lassen. Was hier geboten wird, ist wissenschaftlich unsachgemäß und unverantwortlich. Es wäre wissenschaftlich, wenn zwischen Übersetzung und Deutung klar unterschieden würde. Es wäre wissenschaftlich, gegenüber der Ideologie eine kritische, auch selbstkritische Distanz zu halten. Dazu ist evangelische Theologie an Universitäten auch in der Lage. Dagegen folgt der Kreis von Übersetzerinnen und Übersetzern einer schon in die Jahre gekommenen Ideologie und gibt damit seine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit preis. Prof. Dr. Jörg Frey , Jahrgang 1962, ist Inhaber eines Lehrstuhls für neutestamentliche Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das Johannesevangelium und die Texte von Qumran. Frey ist Herausgeber mehrerer nationaler und internationaler wissenschaftlicher Reihen zur Erforschung des Neuen Testaments. weitere Interview-Partner der JF