Für Unternehmen gibt es längst keinen plausiblen Grund mehr, in Deutschland tätig zu sein: Die Belastung durch Steuern und Sozialabgaben ist hoch. Die Arbeitnehmer hegen unzeitgemäße Einkommenserwartungen. Eine exorbitante Regulierungsdichte verursacht unnötige Kosten. Das Bildungsniveau erodiert rapide, viele Arbeitgeber wären schon froh, wenn Berufsanfänger wenigstens irgendeine nicht-orientalische Sprache halbwegs beherrschen würden. Die Technologiebegeisterung der jungen Generation fokussiert sich auf Unterhaltungselektronik, die Tage des Forschungsstandorts Deutschland sind daher gezählt. Die Infrastruktur ist, wie einst in den ehemaligen Kolonien Schwarzafrikas nach der Unabhängigkeit, dem Verfall anheim gegeben. Es vermag folglich niemanden zu überraschen, wenn so viele Unternehmen wie möglich das Weite suchen. Schon seit langen Jahren verlagern sie Unternehmenssitze und Produktionsstandorte ins Ausland, in jüngster Zeit boomt zudem das Outsourcing von Verwaltungsaufgaben wie etwa Buchhaltung oder Kundenbetreuung in Billiglohnländer. Allerdings zeichnet sich ab, daß die Chance, auf diese Weise Kosten zu sparen, nur dann gewahrt bleibt, wenn die sich ständig verändernden Rahmenbedingungen in den Zielländern der Verlagerung unablässig im Auge behalten werden. Da die Marktgesetze unterdessen auch in Staaten wie Polen oder Tschechien gelten, stößt der wachsende Bedarf nach qualifiziertem Personal mit IT-Fertigkeiten und Fremdsprachenbeherrschung eine markante Hebung des Lohnniveaus an. Selbst in Indien sind für computerversierte Fachkräfte bereits Personalkostensteigerungen von jährlich 15 Prozent zu veranschlagen. An eine Seßhaftigkeit des Kapitals und der Arbeitsplätze in seinem Schlepptau ist also nicht zu denken. Als weitere Etappen auf seiner Wanderschaft könnten noch stärker als bisher China oder neu Vietnam in Betracht kommen. Diese Länder bieten den Vorteil, daß die Ansprüche der Beschäftigten an ihren Lebensstandard durch eine autoritäre Politik im Zaum gehalten werden. Auf lange Sicht wird man aber nicht umhinkönnen, in Staaten, die heute noch als „gescheitert“ gelten, für geeignete Investitionsbedingungen zu sorgen, um die Ressourcen ihrer leidensfähigen und um jede bescheidene Lebensperspektive ringenden Einwohner zu erschließen. Deutschland braucht dabei nicht die Hoffnung zu verlieren. Irgendwann, wenn eine genügend tiefe Talsohle erreicht ist, wird das Kapital vielleicht auch bei uns wieder Station machen.