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Pankraz, Lautréamont und der Künstler als Lump

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Pankraz hat schon manches darüber geschrieben, aber das Thema ist unausschöpfbar und immer wieder aktuell. Es lautet: Darf, kann, muß vielleicht sogar ein großer Künstler oder Barde oder Essayist ein Moralkrüppel sein, ein Schuft und Speichellecker, ein Denunziant und Betrüger, gar ein Mörder? Hat Gott es wirklich so eingerichtet, daß die schönsten seiner Schöpfungen unter Umständen den Absichten und Händen ausgesprochener Lumpen entspringen?

Besonders junge, idealistisch gestimmte Menschenkinder lehnen sich spontan gegen solcherlei Zumutungen auf. Aber schon früheste Erfahrungen belehren sie darüber, daß Künstlerwerkstätten, um mit Oscar Wilde zu sprechen, "keine Nonnenklöster" sind, nie gewesen sind. Oft waren gerade die größten Könner auch die größten Halunken. Es gab schlimme Mörder unter ihnen wie Caravaggio oder Celini, Diebe und Betrüger von Phidias bis Voltaire, zu schweigen vom Heer der "Auftragskünstler", die hemmungslos das Lied derer anstimmten, deren Brot sie zu essen bekamen. Speichellecker sie alle und gegebenenfalls Denunzianten ihrer engsten Kollegen.

Ein Kapitel für sich der Berg der Heuchelei und des Selbstbetrugs, den sie zur Tarnung ihrer Lumpengesinnung neben sich aufschütteten. Faktisch alle versteckten sich hinter Glaubenssätzen oder Ideologien, hatten es immer nur "gut gemeint" und zimmerten schlau an Rechtfertigungen für den Fall, daß es wieder mal anders kommen könnte. Sie wußten sehr wohl, was anständig oder verächtlich war; dumm oder fühllos war keiner.

Angesichts der üblichen Flunkereien nimmt sich die kleine Fraktion derer, die sich offen zu ihrem Pakt mit dem Teufel bekannten bzw. bekennen und daraus Honig saugen, beinahe erhaben aus. Es gehört ja zweifellos einiges dazu, gemäß der These zu schaffen, daß Moral ein Talentkiller ist, die Blumen des Bösen am schönsten leuchten und nur derjenige ein wahrer Künstler sei, welcher gelernt hat, die Bombe zu lieben. Solch Bekennermut zierte einst Romantiker und Nietzscheaner im 19. Jahrhundert; heute dagegen firmieren faktisch sämtliche Halunken als Gutmenschen.

Mit Sicherheit liegt gerade darin die Misere des modernen Kunst- und Literaturbetriebs. Er ist so sehr von der Diktatur der Gutmenschen geprägt, daß man darunter kaum noch atmen kann. Das Heer der medialen Aufpasser übersteigt das der schöpferisch Tätigen um ein Vielfaches, und was die Aufpasser einfordern, ist vorab Heuchelei und Anpasserei. Auf diese Weise kann gar keine Auseinandersetzung zwischen Moral und Kunst mehr entstehen. Alles ist vorgekaut, und der "schöpferisch Tätige" muß wiederkäuen, bei (Mindest-)Strafe des Ignoriertwerdens.

Die Frage, ob einer es wirklich gut meint oder nur so tut, "als ob", verliert so rasant an Relevanz. Sie wird schon seit längerem nur noch in bezug auf die Vergangenheit aufgeworfen, und auch dann nicht mehr in der Form "Lump und dennoch großer Künstler – warum?", sondern etwa in der Form "Goethe (oder Michelangelo oder Händel) war ein Fürstenknecht – warum konnte er trotzdem den Faust (oder den David oder die Wassermusik) schaffen?" Beantwortet wird solches Fragen natürlich nicht, es läßt sich gar nicht beantworten, es ist einfach zu läppisch, um irgendeine Antwort herauszufordern.

Trotzdem bleibt die Erkenntnis, die allen Idealisten, jungen wie alten, so weh tut: daß es tatsächlich wunderbare Kunstwerke gibt, deren Schöpfer es gewissermaßen nicht verdienen, daß sie sie geschaffen haben, weil sie nachweislich schnöde Finsterlinge sind, machmal sogar Finsterlinge ohne jedes persönliche Format, Miniteufel in Filzpantoffeln, wenn man will, Unterwelts-Spießer hoch zwei. Wie ist so etwas möglich?

Hatten vielleicht doch die Romantiker recht, Friedrich Schlegel oder der Graf Lautréamont? Die sagten: Kunstschaffen ist die höchste Form von Freiheit, höchste Freiheit aber liegt nicht in der Befolgung des Guten und Schönen ("das ist ja Zwang"), sondern darin, daß ich von der Straße des Guten bewußt abweiche. Keine Rede kann davon sein, daß ich – bewußt Böses tuend – mich zum Sklaven irgendwelcher üblen Antriebe mache, sondern ich bin diesen Antrieben gegenüber, genau wie gegenüber den Gewissensgeboten des Guten, durchaus frei. Und ich entscheide mich für sie als Künstler und Rebell, der die Aufnahme in die Gemeinschaft der guten Leute im Namen der Kunst ablehnt.

In dieser Perspektive wird das Lumpenhafte geradezu zur Voraussetzung künstlerischen Schaffens und bekommt eine gewaltige Gloriole. Aber es ist, findet Pankraz, letztendlich doch nichts weiter als ein Legen falscher Fährten. Dem wahren Kunstwerk ist sein Schöpfer gewissermaßen völlig egal. Es erfüllt einfach, selbst wenn es Fratzen und Ruinenlandschaften gebiert, den Jahrtausende alten, tausendfach bezeugten und getesteten Kanon des Gelungenen und Formvollendeten und ergreift damit die Seelen. Sein Schöpfer erfährt, indem er es erschafft, zumindest ästhetische Rechtfertigung. Er hat es ehrlicherweise gar nicht nötig, sich als Rebell und Freiheitsheld aufzuspielen.

Mag sein, er macht seine Kollegen beim Papst oder beim Fürsten hinterrücks schlecht, um sie als Konkurrenten auszuschalten und selber den Auftrag zu ergattern, mag sein, er betrügt bei den Kostenabrechnungen, prügelt zu Hause seine Frau und ist auch sonst durch und durch unausstehlich – als Schöpfer des gelungenen Kunstwerks darf er den Lorbeer beanspruchen. Man mag ihn hassen oder bedauern, ihn anklagen und gegebenenfalls gar einen Kopf kürzer machen – seine Schöpfung wird davon nicht berührt, sie spricht für sich selbst und allenfalls noch für die Dämonie der Schöpfung insgesamt, ihre rätselvollen Wege und Umwege.

Unbestritten bleibt dabei wohl, daß es immer besser und erquicklicher ist, wenn eine Einheit zwischen Schöpfung und Schöpfer besteht, wenn der Schöpfer seiner Schöpfung würdig ist und wenigstens halbwegs neben ihr bestehen kann. Moral und Kunst gehören im Grunde doch zusammen.

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