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Pankraz, die Witzemacher und ein Mann namens Popow

Pankraz, die Witzemacher und ein Mann namens Popow

Pankraz, die Witzemacher und ein Mann namens Popow

 

Pankraz, die Witzemacher und ein Mann namens Popow

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Je besser die Witze, um so harmloser das politische System, das sie hervorbringt. So jedenfalls die etwas irritierende These von Ben Lewis in der neuen Ausgabe des Londoner Magazins Prospect. Lewis befaßt sich dort mit den politischen Witzen, die während der Kommunistenzeit in Rußland und seinem volksdemokratischen Umfeld, auch in der DDR, unterwegs waren, und Pankraz feierte bei der Lektüre ein fast gerührtes Wiedersehen mit so manchem der damaligen "Klassiker", vor deren Qualität man noch heute den Hut ziehen muß.

Fast jeder erinnert sich noch an das legendäre "Radio Jerewan" mit seinen "Im Prinzip ja"-Antworten. Frage an Radio Jerewan: "Ist es möglich, den Sozialismus auch in der Schweiz aufzubauen?" Antwort: "Im Prinzip ja, aber es wäre schade um die Schweiz."

Nicht minder berühmt die alt- und neubolschewikischen Versorgungswitze, die sich speziell in ihrer sächsischen Version unvermindert hübsch ausnehmen. Ein Mann kommt unerwartet nach Hause und findet seine Frau mit einem anderen im Ehebett. Vorwurfsvoll schreit er sie an: "Du mährst hier rum" (von sächsisch: "rummährn" = die Zeit vertändeln), "und in der HO gibt’s Apfelsinen!"

Alexander Solschenizyn hat in seinem "Archipel GULag" eine autobiographische Episode überliefert, die nun bei Lewis als lupenreiner Witzklassiker wiederkehrt. Der junge Artillerieleutnant Solschenizyn, den sie wegen "Hetze" direkt von der Front weg verhaftet und zu acht Jahren "verschärften Regimes" verurteilt haben, trifft im Lager ein und findet dort nur Mithäftlinge, die alle mindestens 25 Jahre haben, die meisten zweimal 25, andere dreimal 25. Die Aufregung bei den Alt-insassen ist groß.

A.S. mit seinen "nur" acht Jahren macht Sensation, sie können es nicht fassen. "Mein Gott, was hast du denn gemacht, Kleiner?" So fragen sie den Neuankömmling verwundert. Und der, im Bewußtsein seiner Unschuld, schreit erbittert heraus: "Na, nichts hab ich gemacht, nichts hab ich gemacht!" Darauf die Mithäftlinge: "Das kann nicht sein, für nichts gibt’s zehn Jahre."

Wohl ein wirklicher Witz, aber nicht weniger wirklichkeitsnah, die Geschichte von den drei Häftlingen, die sich auf dem Transport ins sibirische Lager für eine Nacht im Durchgangs-Politisolator von Wladimir vereint finden. Flüsternd teilen sie sich den Grund ihres Schicksals mit. "Ich bin verurteilt, weil ich gegen den Genossen Popow war", erzählt der erste. Darauf der zweite: "Ich bin verurteilt, weil ich für den Genossen Popow war." Schauervolles Entsetzen. "Und du?" fragen sie den dritten. "Ich bin Popow", antwortet der.

Lewis sieht in solchen Pointen einen Widerschein der totalen Absurdität der Realzustände. Die Witze unter den Kommunisten mußten im Grunde nicht extra ausgedacht werden, sie lagen buchstäblich auf der Straße, man brauchte sie nur aufzuheben. Deshalb ihre Nähe zu wahren Mitteilungen, Episoden, Anekdoten. Wer von sich aus etwas hinzutun, irgendeine bewährte Masche aus dem Methodenarsenal traditioneller Witzemacherei stricken wollte, lief stets Gefahr, die Pointe zu verderben, weil diese immer eine Realpointe war, direkt in der Natur des Systems lag.

Trotzdem kamen auch Witze mit ausgedachter, hinzugedichteter Pointe vor, die Klassikerrang beanspruchen dürfen, so jener Versorgungswitz, wo einer, der ein Oberhemd kaufen will, von HO-Laden zu HO-Laden eilt und immer wieder abschlägig beschieden wird. Am Ende ist er so genervt, daß er unhöflich wird und die Verkäuferin im nächsten Laden, einem mehrstöckigen Kaufhaus, gleich beim Hereinstürzen anbellt: "Gibt’s hier keine Oberhemden?" Darauf die Verkäuferin: "Keine Oberhemden gibt’s oben, hier unten gibt’s keine Schuhe."

Die Verkäuferin hat das "Keine" infolge der desolaten Versorgungslage längst als "Schnittmenge" sämtlicher möglicher Verkaufsobjekte verinnerlicht und hantiert nun mit ihm quasi mathematisch-empirisch, als handle es sich um eine abzählbare Real-Schnittmenge. Es waren wohl mathematische Logiker, die sich das Stücklein ausdachten. Doch literarisch orientierte Ausdenker gab es nicht minder, wie etwa folgender, nicht ganz stubenreiner und wohl deshalb bei Ben Lewis nicht vorkommender Auch-Klassiker beweist.

Ein führender Genosse aus der Hauptstadt hält vor einer provinziellen Funktionärsversammlung ein Referat über die lichten Höhen des Sozialismus und wie doch alles in der DDR so gut funktioniert. In der anschließenden Diskussion meldet sich ein kleiner Funktionär und fragt nach dem Engpaß bei der Versorgung mit Toilettenpapier. Schüchtern tut er das, aber immer wieder, obwohl man ihn zum Schweigen winkt, so daß der führende Genosse schließlich wütend wird und Goethes Götz von Berlichingen zitiert: "Ach, leck mich doch!" Worauf sich der Funktionär hinterm Ohr kratzt und nachdenklich meint: "Das kann aber auch nur eine Übergangslösung sein."

Wie gesagt, Ben Lewis neigt dazu, die absurde Blödigkeit der Kommunistenwitze bei dennoch unbezweifelbarer Wirklichkeitsnähe derselben dem System zugute zu schreiben. Wer so blöd war, meint er, der kann nicht ganz böse gewesen sein, dessen politischer Untergrund muß irgendwie mit dem Humus versöhnlichen, "typisch menschlichen" Humors gedüngt gewesen sein.

Aber Pankraz macht hier ein dickes Fragezeichen. Wo war denn der Humor in der Lagerepisode bei Solschenizyn? Das Lagerregime war doch ein Todesregime, war auf gnadenlosen Verbrauch von Menschenleben programmiert. Ergab sich der Witz nicht gerade aus der realen Todeshaltigkeit der Situation?

Wo steht denn geschrieben, daß sich Blödheit und Bosheit gegenseitig ausschließen? Mag sein, es gibt gar nicht wenige schlaue Bösewichte, doch das Böse als solches ist gewiß kein Intelligenzausweis. Eher im Gegenteil. Wenn ernsthaft abgerechnet wird, schauen die Bösen töricht aus der Wäsche.

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