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Mutter ist an allem schuld

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Nach dem Theaterstück und dem Hörspiel nun also der Film nach dem gleichnamigen Bestseller von Michel Houellebecq. Man muß schon die Intentionen und den Inhalt des 1998 erschienenen Romans rekapitulieren, um das Ausmaß des Scheiterns von Regisseur Oskar Roehler deutlich zu machen. Das Buch „Elementarteilchen“ ist einer der brillantesten und giftigsten Stacheln im müden Fleisch der Spaßgesellschaft. Vor allem der ubiquitäre, zur Ware degenerierte Sex erscheint bei Houellebecq in vorwiegend negativen Zusammenhängen. Seine Romanfiguren sind unfähig, sich mit Konsum über die totale Sinnlosigkeit ihres Lebens und Sterbens hinweg zu betäuben. Die Eudämonie des Marktes taugt nicht als Transzendenzersatz, jenseits des Unbehagens in der Kultur wird die allgemein menschliche Misere sichtbar. Zu Recht sah Jens Jessen Houellebecq in der Tradition von Klassikern des Lebensekels wie Huysmans, Céline oder Cioran. Daß der Vorwurf des „Reaktionären“ kam, versteht sich von selbst. „Elementarteilchen“ ist eine epochale Abrechnung mit dem permissiven Kataklysmus im Gefolge der Achtundsechziger. Der daraus resultierende „Haß auf die Körper und die Sexualorgane“, den Pier Paolo Pasolini bereits 1973 artikulierte, ist bei Houellebecqs Protagonisten chronisch geworden. Die beiden Halbbrüder Bruno und Michel werden als Kleinkinder von ihrer dem Hippie-Hedonismus verfallenen Mutter bei den jeweiligen Großeltern abgeliefert. Ihre von Frustrationen gesäumte Jugend fällt in die 1970er Jahre, eine Zeit der drastischen „Zunahme des erotischen Konsums“. Während nun Bruno noch als Vierzigjähriger besessen dem unerfüllbaren Glücks- und Selbstwertversprechen des Sex hinterherhechelt, träumt der gänzlich abstinente Molekularbiologe Michel von der genmanipulativen Kreation einer neuen Spezies Mensch, die sich unter Umgehung der Sexualität fortpflanzen kann. Huxleys Horrorvision erscheint in dieser Perspektive als erstrebenswertes Ziel. Die Devise für das Sackgassengeschöpf Homo sapiens am Ende seiner Weisheit lautet: Mutieren oder krepieren. Houellebecqs Roman ist ironischerweise aus der Sicht der erlösten Mutanten erzählt. All das gäbe großartigen Stoff für eine „reaktionäre“ Satire zur Genugtuung aller an der Ordnung der Futtertröge erkrankten Seelen, wie etwa Finchers und Palahniuks „Fight Club“ (1999). Doch Oskar Roehler, Schöpfer von Meisterwerken wie „Suck My Dick“ (2001), ist nicht gerade der Mann, Derartiges zu leisten. Ohne Houellebecq im Hinterkopf ist der Film immerhin einigermaßen unterhaltsam, und einige Szenen stellen die chaotische Dekadenz des Sexual- und Liebeslebens recht gut dar. Im lauwarmen deutschen Klima jedoch taut die eisige Vorlage auf und erschlafft allzumenschelnd. Die komplexe Konzeption des Romans löst sich in einer simplen Neurosenkomödie auf. Roehler weiß bezeichnenderweise so gut wie gar nichts mit der Figur Mich(a)els (Christian Ulmen) anzufangen: Die Pointe an seiner Obsession geht völlig unter, und als ein Titel am Schluß informiert, er habe den Nobelpreis für die Abschaffung der Sexualität bekommen, wirkt das wie ein Einsprengsel aus einem anderen Film. Dafür darf der Mittdreißiger von seiner Jugendfreundin Annabelle (Franka Potente) entjungfert werden, die wie in einer alten Hollywoodromanze ihn, und zwar nur ihn, schon von Kindesbeinen an geliebt hat. Die beiden werden am Ende gar ein glückliches Paar, während Annabelle im Roman an Krebs stirbt. Hier versucht Roehler, diskreditierte Motive von wahrer Liebe und Hingabe einzubringen: Die zynischen Jahre sind vorbei. Die Wendung zur vertiefenden Liebe scheint auch dem tantalisch gequälten Bruno (Moritz Bleibtreu) beinahe zu gelingen, als seine Freundin Christiane (Martina Gedeck), die er in einem schwülen Esoterik-Camp kennengelernt hat, im Rollstuhl landet und er den Entschluß faßt, trotzdem bei ihr zu bleiben. Ihr Selbstmord führt zu Brunos psychischem Zusammenbruch. Bleibtreu spielt ihn als knuddelig-regressives Nervenbündel in der Dauerpubertät. Er bleibt eine eher drollige Figur, und vor allem sein Aufenthalt in dem unsäglichen Camp gerät zur seichten Farce. Eine reine Knallcharge bleibt Brunos und Michaels Mutter Jane (Nina Hoss), die mit ihrem Befreiungstrip sozusagen „an allem schuld“ ist. Man lacht über ihr Getue, wie man über alte Werbespots lacht, ohne die zeitgenössischen komisch zu finden. Ist das die Essenz dessen, was bei unzähligen mimetisch Inspirierten hängengeblieben ist, die seinerzeit überall mit dem stumpfdiskutierten Modebuch anzutreffen waren? Wem tut noch weh, was Houellebecq weh tut? Wer sieht das Ausmaß der Zersetzung? Das Schlußbild des Films zeigt die Hauptfiguren im Niemandsland eines Badestrandes in Liegestühlen sitzend. Sie haben das Melodrama überstanden, die schöne neue Welt kann beginnen. Da fällt einem ein Aphorismus eines anderen Reaktionärs ein: „Der Mensch gewöhnt sich mit entsetzlicher Leichtigkeit an die absolute Häßlichkeit und das reine Böse. Eine Hölle ohne Qualen verwandelt sich leicht in einen etwas heißen Urlaubsort.“ (Nicolás Gómez Dávila) Fotos: Annabelle (Franka Potente) und Michael (Christian Ulmen) Bruno (Moritz Bleibtreu) und Christiane (Martina Gedeck) im Whirlpool: Die zynischen Jahre sind vorbei Fotos (2): constantin film

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