Zur 350. Wiederkehr der Geburt Rembrandts, 1956, hatte die Stadt Amsterdam als Festredner André Malraux geladen, dessen kunstphilosophische Meditationen, „Stimmen der Stille“, eben erschienen waren. Dort rechnet er Rembrandt zu den „abendländischen Meistern der Verklärung, welche die Malerei als eine Möglichkeit ansahen, Zugang in eine Welt des Übermenschlichen zu eröffnen“. Der Existentialist sah jetzt die Hinfälligkeit des Individuums. Flüchtigkeit und Banalität überwinde es erst, wenn seine Ordnung „sich nach dem höchsten Teil seines Wesens“ ausrichte. Als er von der Tragik des Meisters sprach, dröhnten mit einem Mal die Glocken und erzeugten geisterhafte Resonanz: „Es war das Schicksal, das Rembrandt antwortete.“ Malraux‘ Pathos alterniert mit sehr divergenten Rezeptionsweisen. So hat man den Holländer „Maler der Armen“ genannt, den „Shakespeare der Malerei“ oder Reformator einer „republikanischen Ästhetik“, oft einen künstlerischen „Luther“ und auch den „Künder der modernen Seele“. Alle waren sich einig, es handle sich um eine singuläre Erscheinung. Dem stimmten auch die Gegner zu. Deren Reihe ist lang: Den schmuddeligen Outcast rügte schon Sandrart 1675 – Rembrandt habe die „Kunstregeln“ verletzt, Anatomie und Proportion verzerrt, Perspektive verdunkelt und Raffaels Zeichenkunst sich widersetzt. Alles gründe er auf „Natur“ und favorisiere gestalterisch nur Licht und Schatten. Das gab der Kunstkritik ihr Muster vor. So schmähte Winckelmann den „Affen der gemeinen Natur“; Lessing fand, sein Pinsel eigne sich bloß für „niedrige und ekle Gegenstände“. Jacob Burckhardt griff das Verdikt noch einmal auf; darüber hing der Stern des Rubens – der schrumpfte Rembrandt, den peinlichen, zusammen. Dieser Aspekt mag ein Schlüssel zur Charakteristik Rembrandts sein, figurieren doch Rubens und er als die bedeutenden Maler im Nordeuropa ihrer Zeit. Als künstlerische Exponenten der Niederlande repräsentieren sie die beiden Landesteile und differenten Teilkulturen. Politische Komplikationen hatten 1579 zur Einheit der sieben nördlichen Provinzen, 1581 zur Lossagung von Spanien und 1609 zur faktischen Unabhängigkeit geführt. So entstand das protestantisch-bürgerliche Holland, während das katholische Flandern mit Antwerpen habsburgisch blieb. Dort schuf Rubens seit 1608 die paradigmatisch barocke Bildform. Seine vitale Symbolik transformiert die historischen und mythologischen Stoffe in heroische Ideale. Archetypische Muster wie Diagonale oder Kreis ermöglichen die Synthese motivischer und formaler Momente im polyphonen Gesamtkunstwerk zum Ruhm von Kirche und Monarchie. Zeremoniell, dekorativ, grandios wirkt die Ästhetik des Rubens, dessen Biographie als Weltmann und Diplomat dem visuellen Überfluß seiner Kunst entsprach. Rubens war eine Weltmacht. Seinem „monarchischen“ Prinzip tritt nun die „republikanische und partikularistische Struktur der Kunst“ (Riegl) im bürgerlichen Holland entgegen. Der Wegfall von Hof und Kirche erzeugt einen offenen Markt, der die Maler zu Spezialisten macht. Das trifft auch auf die größten Künstler neben Rembrandt zu: Frans Hals (Porträt), Jacob Ruisdael (Landschaft) und Jan Vermeer (Genre). Zwischen 1600 und 1680 profilieren drei Generationen das „Goldene Zeitalter“ holländischer Kunst: seine burleske Volkstümlichkeit samt schriller Travestie der barocken Würdeformeln, die Verinnerlichung durch Rembrandt, dann dessen Übersetzung in visuelle Formstrukturen. Die gipfeln in Vermeers kontemplativer Stille. So blieb Rembrandt als einziger Universalist. Sein malerisches, zeichnerisches und graphisches Werk umfaßt (vor allem biblische) „Historien“, Porträts, Landschaften, Alltagsszenen. Bild und Sehen hat er neu konzipiert, das Licht visionär gemacht, seine Figuren vertieft und dem protestantischen Glauben symbolischen Ausdruck gewonnen. Rembrandt Harmenszoon van Rijn wird am 15. Juli 1606 in Leiden geboren. Seit 1625 als Maler tätig, zieht er 1632 nach Amsterdam und heiratet dort 1634 die junge Patrizierin Saskia van Uylenburgh. Er etabliert sich als gesuchter Maler und zählt bald zur Oberschicht. Seinen feudalen Wohnsitz füllt er mit Kunstschätzen und Exotika – ein Reflex auch der kosmopolitischen Lage der Stadt. Schicksalsschläge treffen ihn seit 1642: Saskias Tod; 1656 dann der völlige Ruin, der ihn seine Sammlung kostet. Die Gefährtin und der Sohn sichern ihm die Existenz, doch sterben beide früh. Leidgeprüft beschließt der alte Mann sein Leben in ärmlicher Umgebung am 22. März 1669. Damals malte Rembrandt sein Kölner Selbstbild – als antiker Zeuxis; der porträtiert eine alte, häßliche Frau und lacht sich dabei zu Tod. Aus der Schwärze des Raums springt uns irres Gelächter an. Einzig die zerrissenen Züge, Mütze und Kragen leuchten aus der Finsternis. Damit hat der Maler den schrillen Punkt unter die radikale Selbstbefragung gesetzt. Niemand sonst hinterließ uns so viele Dokumente der Gewissenserforschung. Erbarmungsloser Blick aufs Ich, eine ganze Welt ans Licht ziehend, wurde zur fortlaufenden Autobiographie, enthüllte „das innere Antlitz dieses Menschen“ (W. Nigg). Protestantische Grübelei wird schöpferisch im europäischen Porträt. Innovativ auch seine Gruppenbilder, zumal die berühmte „Nachtwache“ (1642) – bildet er doch die mechanische Reihe einzelner Porträts um zum integrierten Tableau, das die Figuren im komplexen Ereignis faßt. Doch stieß das Werk auf Ablehnung. Seine neuartige Bildregie taucht die Szene in geisterhafte Atmosphäre und läßt die Mitspieler unwirklich werden. Die wollten sich „mit Würde über die Leinwand bewegen“ und nicht zum „Jüngsten Gericht geschleppt werden“ (Malraux). Meisterliche Ausleuchtung führt ins Zentrum von Rembrandts Kunst; die wurzelt in der Gestaltung des Lichts – keines natürlichen. Das Licht als Bote göttlicher Mächte begründet die menschliche Vertiefung der neuen Bildwirklichkeit. Beispielhaft dafür die zahlreichen biblischen Szenen, die sparsam figurieren und das Thema ganz aus der Durchdringung von Licht und Dunkel gestalten. Die Tektonik des Bildraums ist eingezogen und alles Geschehen in Lichtwerte übersetzt. Erstaunlich im Umkreis einer Profankunst! Hat die Reformation doch christliche Kunst im Kult beendet. So wird das Bild privat. Die Ikone wandelt sich in biblische Darstellung und weltliches Porträt. Dabei werden individueller Charakter und Psychologie malerisch fokussiert. Das macht Rembrandts frommen Personalismus akosmisch. Anders Rubens, der Bewegung in eine komplexe Raumgestalt übersetzt und wuchtig aus Leibern aufbaut. Seine Passionsbilder sind Apotheosen des männlichen Körpers, von strahlender Kraft, dem siegreichen Christus und der Kirche geweiht. Die barocke Diagonale wird zum Einzug ins Himmelreich. Rembrandt hingegen schockiert mit der brutalen Häßlichkeit des Todes, der den Körper aufweicht und deformiert. Diese Betonung der Knechtsgestalt Gottes chiffrierte zugleich menschliches Leid. Was in der Moderne oft mehr überzeugt als die römische Triumphgeste. Wirklich besaß der Maler den Mut zum Häßlichen. Und doch strahlt sein Werk Schönheit aus: als Geist der Barmherzigkeit. Rembrandts Bilder entfalten Zuneigung, Innigkeit und Weisheit, die ihn zu einem Propheten des christlichen Gedankens machten und einem Zeugen der Weltkunst obendrein. Rembrandt, Selbstporträt als Zeuxis (Öl auf Leinwand, um 1669): „Aus der Schwärze des Raums springt uns irres Gelächter an. Einzig die zerrissenen Züge, Mütze und Kragen leuchten aus der Finsternis.“ „Die Nachtwache“ (Öl auf Leinwand, 1642): Rembrandts neuartige Bildregie taucht die Szene in eine geisterhafte Atmosphäre
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