Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erhielten die Hamburger Kammerspiele von den Briten als erstes deutsches Theater überhaupt die Erlaubnis, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen. Diese Chance und Gunst der Geschichte nutzte die Schauspielerin Ida Ehre. Ihr gelang das Kunststück, innerhalb nur weniger Monate alles an ihre Bühne zu holen, was in Deutschland noch, wieder oder erst gerade Rang und Namen hatte. Unter primitivsten Bedingungen wurde in den Hamburger Kammerspielen Welttheater gemacht. Was zwölf Jahre lang in Deutschland auf dem Index stand, nun kam es auf die Bühne, gespielt und inszeniert von den besten deutschen Schauspielern und Regisseuren. Mit den Jahren jedoch ebbten Ruf, Qualität und Image der Kammerspiele immer weiter ab, bis das Haus schließlich in Bedeutungslosigkeit versank. Jahrelang vegetierte das einst so renommierte Theater künstlerisch vor sich hin. Mehrere Versuche bekannter deutscher Mimen, den alten Ruf wieder herzustellen, mißlangen wohl auch deshalb, weil die Hamburger Kulturpolitiker kein Geld in dieses marode Haus stecken wollten. Erst als der Hamburger Unternehmer Jürgen Hunke das Traditionshaus total renovierte, ihm ein neues Image und Ambiente verschaffte und hochkarätige Darsteller wie Ulrich Tukru und andere das Spielplan-Zepter schwangen, ging es wieder aufwärts. Mit Axel Schneider als Direktor haben es die Kammerspiele nun geschafft, künstlerisch wieder in der ersten Reihe der Hamburger Theater zu stehen. Jetzt kam die Tragikomödie „Der Mann ohne Vergangenheit“ von Aki Kaurismäki auf die Bühne. Nach „Vita & Virginia“ (JF /5/06) landeten die Kammerspiele damit abermals einen Volltreffer. Die Geschichte selbst ist eigentlich bedeutungslos, so wie nahezu alle Stücke und Filme Kaurismäkis: Ein Mann wird in einem Restaurant brutal zusammengeschlagen, von Ärzten für tot erklärt, erwacht wieder, hat sein Gedächtnis verloren, irrt als Namenloser umher, findet Unterschlupf in einem Container, lebt unter Arbeitslosen, Akolholikern und richtet sich in einer Welt ein, in der es weder Hoffnung noch Liebe, und erst recht keine Zukunft, aber dennoch ein kleines Happy End gibt. Fürwahr, auf den ersten Blick eine düstere Geschichte, kein Stück zum psychisch schmerzfreien Genuß. Und so wie es Kaurismäki gelingt, seine Filme und auch seine Protagonisten und deren düstere Schicksale in einer Welt ohne Illusionen stets mit einer geradezu „überirdischen“ Poesie zu überziehen, die die Einsamkeit seiner tragikomischen Figuren fast schon wieder in eine Art metaphysische Heiterkeit verwandelt, in der Melancholie und Einsamkeit nicht mehr gar so schmerzlich sind, so gelingt es der Regie (Gil Mehmert) mit Hilfe eines vorzüglichen Darsteller-Quintetts, diese Milieustudie zu einem phantastisch-skurrilen dramatischen Appetit-Happen zu stilisieren. Es gelingt, weil in dieser Inszenierung nicht das Wort dominiert, sondern die Musik. Tango-Musik. Der Tango ist das dramaturgische Verbindungsstück zwischen Handlung, Dialog und dem Spiel der Protagonisten. Man wird nicht jeden Abend an einem deutschen Theater erleben können, was hier auf der Bühne geboten wird: Drei Vollblut-Musiker (Carsten Schmack, Akkordeon, Alexander Geringas, Cello und Stefan Walz, E-Gitarre) und hervorragende Darsteller erzählen die Geschichte als ein ironisch-absurdes und überaus melancholisches Kammer-Musical, das unter die Haut geht. Die Vorstellungen laufen noch bis zum 10. März in den Hamburger Kammerspielen, Hartungstr. 9-11. Kartentelefon: 0800 / 41 33 44-0