Ein trockener, heißer Sommer. Flirrende Hitze, die jeden Trubel, jede Alltagsaktivität zum Erliegen bringt. Tage, die mit Nichtstun und Dösen verstreichen. Das sind die Wochen, in denen die Sinnlichkeit die Körper streichelt und die Seelen in eine Traumwelt gleiten. Die rothaarige, sommersprossige Mona (Natalie Press) klappert während eines solchen Sommers mit ihrem kaputten Mofa über die sanften Hügel von Yorkshire. Täglich flüchtet sie vor ihrem Bruder Phil (Paddy Considine), mit dem sie über einem heruntergekommenen ehemaligen Pub wohnt. Mona erkennt ihren Bruder kaum wieder. Aus dem einstigen Raufbold ist ein Anhänger einer fast fanatisch anmutenden christlichen Sekte geworden, der den ganzen Tag betet und zu jeder Gelegenheit fromme Sprüche bereithält. Als sie im Gras einer Wiese erwacht und die Augen langsam zum Himmel öffnet, sieht sie Tamsin (Emily Blunt), hoch über ihr auf einem Roß sitzend. Die reiche Internatsschülerin wohnt in einem nahen Landschlößchen, und rasch stiftet die Sonne eine enge Freundschaft zwischen den beiden Mädchen. Tamsin umgibt eine Aura gefährlicher Sinnlichkeit. Sie ist gebildet, selbstsicher, aufmüpfig, experimentierfreudig, unberechenbar und dennoch mit eleganter Noblesse ausgestattet. Leichtbekleidet oder auch gelegentlich ihre Brüste zeigend versteht sie es, die Männer und vor allem Mona rasch in ihren Bann zu ziehen. Aus der gegensätzlichen Chemie zwischen der armen Göre und der mondänen Großbürgerstochter entsteht rasch Freundschaft und schließlich Liebe. Die beiden Mädchen schildern sich ihre Sorgen, ihre intimen Probleme und ziehen über Feldwege und Landstraßen. Dabei werden Autofenster mit Gartenzwergen eingeschlagen, Rentnertanzabende massiv gestört und im Bachwasser geplantscht. In dieser Stimmung überrascht es nicht, daß die beiden Teenager bald auch das Bett miteinander teilen, sehr zum Entsetzen von Monas Bruder Phil. Gerade aber die Figur des Bruders erweist sich als Schwachpunkt des Films. Wird die Bekehrung des früheren Sünders noch glaubhaft geschildert und besitzen die seltsam anmutenden Betstunden der Gemeinde und die festliche Aufrichtung eines großen Gipfelkreuzes auch stimmige Glaubwürdigkeit, so erliegt Phil doch zu rasch der Versuchung, die ihm in der verführerischen Schlange Tamsin begegnet. Und zu schnell kehrt er sich wieder von seinem Glauben ab – eine unnötige Wendung. Tamsin legt ihre Auffassung vom Konzept des nietzscheanischen „Übermenschen“ als Legitimation für gefährliche Manipulationsexperimente aus. Sie entpuppt sich schließlich als destruktive Spielerin und notorische Lügnerin, so daß der Sommer der Liebe für Mona, das ehrliche, arme Mädchen, ein schales Gefühl hinterläßt. „My summer of love“ basiert auf einem Roman von Helen Cross. Doch die Geschichte vermittelt keinesfalls „eine Botschaft von Gut und Böse“ oder einen „untrügerischen Blick auf die heutige Gesellschaft“, wie der Verleih behauptet. Vielmehr liegen die Stärken des Films von Pawel Pawlikowski im bezaubernden Spiel der beiden Jung-Schauspielerinnen und in hervorragenden und spannend gedrehten Aufnahmen, die dem schwülen englischen Landsommer eine stimmungs- und eindrucksvolle Note verleihen. Foto: Tamsin (Emily Blunt) und Mona (Natalie Press): Traumwelt