Unter allen Städten Thüringens leuchten Weimar und Jena am hellsten im Jahr der deutschen Klassik 2005! Hier wird eine Ausstellung nach der anderen eröffnet, Vorträge werden angeboten, Podiumsdiskussionen und wissenschaftliche Tagungen. Die Informationsfülle zur Entstehung und Geschichte der deutschen Klassik ist im 200. Todesjahr Friedrich Schillers schier unerschöpflich! Und das wird das ganze Jahr über fortgesetzt: So gibt es am 28. August, dem Geburtstag Goethes, eine Feier zum 120. Gründungstag der Weimarer Goethe-Gesellschaft, die 1885, nach dem Tod des letzten Goethe-Enkels, entstanden und als einzige Literaturgesellschaft an der deutschen Zweistaatlichkeit nicht zerbrochen war. Diese Gesellschaft hatte nun für den 18. bis 21. Mai zu ihrer 79. Hauptversammlung nach Weimar eingeladen, die unter dem Thema „Goethes Schiller – Schillers Goethe“ stand und in 16 Arbeitsgruppen den Freundschaftsbund beider Dichter und die wechselseitige Befruchtung im literarischen Schaffensprozeß zu ergründen suchte. Der Hauptversammlung vorgeschaltet war das „Symposium junger Goetheforscher“, auf dem sieben Vorträge von Nachwuchswissenschaftlern, Doktoren und Habilitanden zu hören waren. Hier wurde man darüber unterrichtet, in welcher Beziehung Goethes Gedicht „War einst ein König in Thule“ zu Felix Mendelssohn-Bartholdys „Italienischer Symphonie“ steht oder welche Bedeutung die Philosophie des niederländisch-jüdischen Philosophen Baruch Spinoza für die Abfassung von Goethes Roman „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ (1821/29) hat. Oder wie die Albert-Figur in Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) eine umfangreiche Werther-Lyrik im 18. Jahrhundert auslöste oder wie sich der Epochenbruch von 1806, der Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation auf Goethes autobiographisches Schreiben auswirkte. Rüdiger Safranski war sichtlich bewegt Beim abendlichen „Begegnungstreffen“ junger Germanisten wurde mit Blick auf das Gastspiel des Deutschen Nationaltheaters am Vierwaldstätter See in der Schweiz Goethes Anteil an Schillers Schauspiel „Wilhelm Tell“ (1804) diskutiert. Die Hauptversammlung selbst wurde im Nationaltheater, wo am 19. Januar 1919 die Weimarer Republik gegründet worden war, durch den Präsidenten Jochen Golz eröffnet, der nach den Ansprachen des Ministerpräsidenten Dieter Althaus und des Oberbürgermeisters Volkhardt Germer das Wort an den Schiller-Biographen Rüdiger Safranski übergab. Der Berliner Philosoph sprach ausführlich über die schwierige, wiewohl äußerst fruchtbare Freundschaft zwischen Goethe und Schiller, die auch, in Briefwechsel und in Gesprächen, eine intensive Arbeitsgemeinschaft war. Sie begann am 20. Juli 1794 nach einer Begegnung bei der „Naturforschenden Gesellschaft“ in Jena und endete mit Schillers Tod elf Jahre später. Schon im ersten Brief gab der Schwabe Schiller seiner Bewunderung für den zehn Jahre älteren Hessen Goethe Ausdruck, der 1775 nach Thüringen gekommen war: „Lange schon habe ich, obgleich aus ziemlicher Ferne, dem Gang Ihres Geistes zugesehen, und den Weg, den Sie sich vorgezeichnet, mit immer erneuerter Bewunderung bemerkt.“ Seinen „Epilog auf Schillers Glocke“, der mit den Worten beginnt: „Denn er war unser! Mag das stolze Wort den lauten Schmerz gewaltig übertönen!“ ließ Goethe am 10. August 1805 im Lauchstädter Theater von einer Schauspielerin vortragen, wobei er in Tränen ausbrach und rief: „Ich kann diesen Mann nicht vergessen!“ Klaus Maria Brandauer trug Schillers „Glocke“ vor Der Vortrag Rüdiger Safranskis, der selbst sichtlich bewegt war und seine Manuskriptblätter mit Mühe zusammensuchte, ehe er die Bühne verließ, war der Auftakt zu 16 Einzelreferaten in den Arbeitsgruppen, die jeweils durch Korreferate ausländischer Germanisten ergänzt wurden. Die Dichterfreundschaft, die hier unter allen Aspekten diskutiert wurde, war für beide Autoren ein stetiges Geben und Nehmen. Es war durchaus nicht so, daß der eine schrieb und der andere seine Meinung über das Geschriebene äußerte, sondern jeder von ihnen hatte einen heute kaum noch aufzulösenden Anteil an der Textgenese beim Partner. So sprachen beispielsweise Günter Saße (Freiburg) über „Schillers Anteil an ‚Wilhelm Meisters Lehrjahren'“ und Norbert Oellers (Bonn) über „Goethes Anteil an Schillers ‚Wallenstein'“ . Von besonderem Reiz war Helmut Koopmanns (Augsburg) Beitrag über „Weimarer Nachbarschaften. Goethe, Schiller – und die anderen“, der über Ankunft und Aufnahme deutscher Dichter in der Residenzstadt Weimar sprach und dabei auch die wechselseitigen Eifersüchteleien, üblen Nachreden und Feindschaften nicht aussparte, wobei er sich auf das Buch von Konrad Kratzsch „Klatschnest Weimar“ (2002) beziehen konnte. Immerhin, so schloß der Referent, war die „Kehrseite der pausenlosen Geselligkeit: wachsende Einsamkeit!“ Den Abschluß der Tagung mit 700 Teilnehmern bildeten ein Abend bei warmer Witterung in Goethes Garten im Haus am Frauenplan und eine Fahrt nach Bad Lauchstädt in Goethes Theater, wo der Schauspieler Klaus Maria Brandauer Schillers Gedicht „Die Glocke“ vortrug. Zur Hauptversammlung im Jahr 2007 wird das Thema heißen „Goethe und die Naturwissenschaften“, 2009 wiederum steht ein weiteres Jubiläum an: Schillers 250. Geburtstag.
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