Mit einem Festakt in Anwesenheit des Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) hat die geteilte Stadt Frankfurt an der Oder am 28. Mai ein besonderes Ereignis begangen – das Fenster-Fest an der St. Marienkirche. Fenster wie Kirche können auf eine jahrhundertelange Geschichte zurückblicken. Erst in den letzten 60 Jahren ist diese Geschichte in starkem Maße von Slawen bestimmt worden. 1945 folgte auf die Zerstörung der Stadt durch russische Truppen die Abtrennung ihres Ostteils und dessen Unterstellung unter polnische Verwaltung sowie die Demontage von Industrie- und Gleisanlagen, der Raub von Kunstschätzen. Dazu zählen auch die Fenster der St. Marienkirche. Die zwischen 1253 und 1524 erbaute Kirche ist eine der größten Backstein-Hallenkirchen Norddeutschlands. Sie überstand den Zweiten Weltkrieg nur als Ruine und ist erst in den letzten Jahren wieder mit einem Dach versehen worden. Mit dem Benefiz-Konzert „Carmina Burana“ konnte am 1. September 2000 erstmals seit der Zerstörung im Jahre 1945 das gesamte Langschiff wieder für 800 begeisterte Zuhörer genutzt werden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die berühmten Frankfurter Kirchenfenster noch in russischer „Kriegsgefangenschaft“. Die drei Buntglasfenster – das sogenannte Genesis-Fenster, das Christus-Fenster sowie der Antichrist- Zyklus – sind insgesamt mehr als elf Meter hoch. Die Glasmalereien entstanden zwischen 1367 und 1376 und stellen ein eindrucksvolles künstlerisches Zeugnis der Hochgotik dar. Experten schätzen ihren Wert als einmalig. Ihre Darstellung biblischer Geschichten in von kräftigen Farben geprägten Glasmosaiken ist wegen der Qualität, des Alters und ihres Umfangs von großer Bedeutung für die deutsche Kunst-, Kultur- und Kirchengeschichte. Im Zweiten Weltkrieg wurden diese Fenster zum Schutz vor Bombenschäden ausgelagert und nach der Besetzung Deutschlands von russischen Soldaten geraubt und in die Sowjetunion verbracht. Sie galten über Jahrzehnte als verschollen, bis 1991 ein russischer Kunsthistoriker die sich in einem desolaten Zustand befindlichen Fenster in einem Geheimdepot der Eremitage in St. Petersburg entdeckte. Doch zwischen dem Zeitpunkt der Entdeckung und der Rückführung bricht ein neues Jahrtausend an, denn die russische Staatsduma hatte in ihren umstrittenen Beutekunstgesetz im Kriege geraubte Kunstschätze zu russischem Staatseigentum erklärt – im eklatanten Widerspruch zum Völkerrecht. Allerdings ließ das Gesetz auch Ausnahmen für Kirchenkunst zu: das Nadelöhr, durch das dann die Frankfurter Kirchenfenster hindurch mußten. Es war ein mühseliges Unterfangen, bis endlich im April 2002 die Duma beschloß, die geraubten Bleiglasfenster der Marienkirche zurückzugeben. Am 29. Juni 2002 war es dann soweit: Die Bleiglasfenster der St. Marienkirche treffen in insgesamt 22 Transportkisten in Frankfurt ein und werden von Hunderten Frankfurtern enthusiastisch begrüßt. Vergangenen Samstag nun ist endlich der Einbau des Christus-Fensters im neugewölbten Chor von St. Marien abgeschlossen worden. Rund ein Jahr haben die drei Restauratorinnen Sandra Meinung, Gerlinde Möhrle und Nicole Sterzing für die 39 Tafeln gebraucht, um den alten, arg lädierten Scheiben neuen Glanz zu verleihen – mit Pinsel, Skalpell und Farbe, aber ganz ohne chemische Mittel. Unterdessen sind die Restauratoren bereits mit dem zweiten Fenster befaßt. Es zeigt die Antichrist-Motive und gilt wegen seines monumentalen Bildprogramms als einmalig in Europa. Dieses Fenster soll im März kommenden Jahres eingebaut werden. Erst danach kann man sich dem Schöpfungsfenster zuwenden, bei dem Fenster bislang sechs Felder verschollen geblieben sind. Vielleicht gibt es ja noch ein weiteres Geheimdepot in St. Petersburg, sonst müssen die fehlenden Felder ersetzt werden. Der Einbau dieses Fensters ist für das Jahr 2007 geplant, wenn die Frankfurter so fleißig wie bisher für den Wiederaufbau spenden und auch die anderen Sponsoren – die Bundesrepublik Deutschland, das Land Brandenburg, die Stadt Frankfurt (Oder) und die Bundesstiftung Umwelt – ihre finanziellen Zusagen einhalten. Während Frankfurt sich über die zurückgekehrten Kirchenfenster freuen kann, sind Abertausende weiterer Beutestücke der sowjetischen Truppen völkerrechtswidrig noch immer in russischer Hand. Auch an der Rückgabe dieser Kulturgüter wird sich zeigen, ob Rußland als Rechtsstaat gelten kann.