Vergangene Woche kürten Sprachwissenschaftler aus 2.162 Einsendungen mit 1.218 verschiedenen Vorschlägen das Unwort des Jahres 2004. Begründet wurde die Wahl von „Humankapital“ damit, daß mit diesem Begriff Menschen zu nur noch ökonomisch interessanten Größen degradiert würden. Wirtschaftswissenschaftler reagieren empört auf diese Entscheidung. Sie warfen ihren Kollegen aus der Sprachwissenschaft vor, diesen eingeführten Fachbegriff nicht verstanden zu haben. Humankapital sei mitnichten eine Herabwürdigung, sondern kennzeichne den Bestand an Wissen und Fertigkeiten in einer Gesellschaft. Den Juroren kann man den Vorwurf nicht ersparen, daß sie nur auf die Fassade geschaut und nicht erkundet haben, wofür Humankapital im Wirtschaftsleben überhaupt steht. Aber anstatt die Kollegen vom Sprachbereich in höflicher Form sachlich über die Bedeutung des Begriffs aufzuklären, wurden hämische oder aggressive Töne angeschlagen: Pisa im Quadrat, ökonomische Analphabeten. Der Amerikaner Michael Burda, Leiter des Instituts für Wirtschaftstheorie an der Berliner Humboldt-Universität, sprach gar davon, daß so ein Vorschlag nur aus dem Land der Dichter und Denker kommen kann. Dabei sollten sich die Wirtschaftsprofessoren durchaus selbstkritisch fragen, ob es nicht auch an ihnen lag, daß Humankapital diese zweifelhafte Ehre zuteil wurde. Es ist der ganzen Gilde wohl nicht gelungen, den Begriff „Humankapital“ samt Hintergründen und Zusammenhängen außerhalb der Fachwelt verständlich zu machen. Das ist an sich nichts Neues, denn jahrzehntelang strotzten viele Veröffentlichungen vor lateinischen Begriffen. Heute werden bevorzugt Anglizismen eingestreut oder gleich ganz die englische Sprache verwendet. Das ist zwar notwendig, wenn Gehör in der Fachwelt gefunden werden soll, aber zur Aufklärung der Gesellschaft über wirtschaftliche Zusammenhänge trägt das nicht bei. Nicht vergessen werden darf, daß das Unwort aus eingereichten Vorschlägen ausgewählt wurde. Und in weiten Kreisen der arbeitenden Bevölkerung hat der Begriff Humankapital keinen guten Klang. Einfach deshalb, weil Unternehmensleitungen nicht müde werden, die Bedeutung der Beschäftigten und deren Kenntnisse und Fähigkeiten für den Unternehmenserfolg vollmundig zu verkünden. Wer das hört, aber als 55jähriger in den einstweiligen Ruhestand geschickt wird oder als Studienabgänger keine Festanstellung, sondern einen Zeitvertrag erhält und mit einer Praktikantenvergütung abgespeist wird, dem muß das Gerede vom Humankapital tatsächlich wie blanker Hohn in den Ohren klingen. Prof. Dr. Hans-Manfred Niedetzky unterrichtet Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim und ist Vorsitzender des Vereins für Sprachpflege (VfS).
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