Matthias Beltz hatte sich vorgenommen, sein Publikum von der Hoffnungslosigkeit über die Verzweiflung hin zur Trostlosigkeit zu führen, was angesichts einer Gemeinde zartbesaiteter Kabarettbesucher, die sich von ihm seelsorgerischen Trost und wohligen Zuspruch erwartete, wohl auch bitter notwendig war. Den linken Kinderglauben – dem inzwischen auch viele sogenannte „Rechte“ anhängen -, es werde sich schon alles zum Guten wenden, wenn man nur fest genug dran glaubt, zerstörte er mit anarchischer Lust. Aus dem „tiefen Kleinbürgertum“ (Beltz) der hessischen Provinz kommend, konnte der am 31. Januar 1945 in Wohnfeld (Vogelsberg) geborene Beltz sich selbst lange nicht erklären, wie er, der durch das Vorbild seines älteren Bruders Michael zur politischen Linken gestoßen war, weiterhin gute menschliche Kontakte zu Vertretern der Rechten hatte und auch entsprechende Literatur las. Denn weil der Wille zum Original bei Matthias Beltz das Interesse an der Sekundärliteratur aus dem eigenen Lager bei weitem übertraf, war er bereits während seines Jurastudiums in Frankfurt auf Carl Schmitt gestoßen. Später befaßte er sich ebenso intensiv mit dem Werk Ernst Jüngers. „Die Demokratie aber bedarf ihrer Feinde, weil nur die Feinde der Demokratie eine radikale Kritik der Demokratie empfinden und denken können; die Demokratie bedarf der radikalen Kritik, weil die radikale Kritik das Lebenselixier der Demokratie ist.“ Dieser bemerkenswerte Satz stammt aus Matthias Beltz‘ kleinem Text „Souveränität und Holzwege“, der Carl Schmitt gewidmet ist und mit einem Zitat von Martin Heidegger eingeleitet wird. Während die führenden Politiker des „westdeutschen Selbstbewußtseins“, so Beltz, nach 1945 nicht die Größe besessen hätten, die Emigranten um Rückkehr zu bitten, habe die deutsche Linke nicht die Größe besessen, die „entehrten Rechtsintellektuellen“ wieder als Gegner und Partner in den Diskurs einzuladen. Doch wer sich heute mit der Frage der Souveränität beschäftige, tue gut daran, in die politischen Systemwelten von Georges Bataille und Carl Schmitt einzutreten, selbst auf die Gefahr hin, verletzt wieder herauszutreten. Genau dieser Punkt machte für Beltz die Souveränität der Person aus. In zwei Nachlaßbänden mit den schönen Titeln „Gut“ und „Böse“ hat Volker Kühn „unter Verzicht auf eine systematische Topographie oder chronologische Ordnung“ Teil- und Bruchstücke der Beltz’schen Veröffentlichungen zusammengefaßt, seine Programme geplündert, Gedankensplitter, unveröffentlichte Notizen und irgendwo abgelegte Verse versammelt: eine Wiederentdeckung jenes „hessischen Humusgewächses aus dem abgelegenen Vogelsberg, das es nach Sachsenhausen, links vom Main, verschlagen hatte, wo es feste Wurzeln schlug und atemberaubende Blüten trieb“. Wenn er etwas haßte, waren es Lärmerzeuger Beltz betrat Mitte der 1970er Jahre die Bühne des Kabaretts, zu einer Zeit also, als dieses hoffnungslos in die Hände der langweiligen linken Spießer gefallen war, deren einziges Vergnügen darin bestand, die sich ohnehin zu Tode reformierende katholische Kirche oder die letzten – inzwischen völlig machtlosen – Konservativen zu beschimpfen. Daß er diese alte Kampflinie zwischen „guten Linken“ und „bösen Rechten“ – ohne bei seinen „Genossen“ um Erlaubnis zu fragen – einfach durchbrach, ist ihm gar nicht hoch genug anzurechnen. Er hielt seinem Publikum, in der Mehrzahl alles biedere Linke, so genüßlich den Spiegel vor, daß diesem das Lachen oft im Halse stecken blieb. Ohne seine eigenen linksradikalen Heimatgefühle zu verstecken, verwies er zum Beispiel darauf, daß Antifaschismus als „gemeinsamer Konsens aller Demokraten“ nur der „Verschleierung politischer Machtverhältnisse“ diene, um gleich darauf den „in ihr Mordgerät brüllenden Handy-Schurken“ mit einer Initiative zur Wiedereinführung der Todesstrafe zu drohen, und seine „reuelose Freude“ darüber, „dieses Gelump still, aber wirksam auf dem elektrischen Stuhl verbrutzeln zu hören“, öffentlich kundzutun. Wenn er etwas haßte in dieser lärmvollen Zeit, dann war es das lärmerzeugende, halbseidene Gequatsche selbsternannter Medien-Prominenter. Und so geriet ihm jener unvergessene Skandal, als der deutsche Schwergewichts-Boxer Norbert Grupe, genannt „Prinz von Homburg“, am 21. Juni 1969 im Aktuellen Sportstudio dem ihm eifrig dämliche Fragen stellenden Moderator Rainer Günzel nur mit maliziösem Grinsen gegenübersaß und vollkommen schwieg, zur „Sternstunde des deutschen Schwarzweißfernsehens der frühen Jahre“. So schön sei nie wieder ein Fragender im Fernsehen „abgestunken“, freute sich Beltz, und alle, die das Glück hatten, damals dabeigewesen zu sein, freuten sich mit ihm. Der politische Beltz wollte dagegen durchaus Entspannung ins Spiel der Glaubensfragen jener „heimatlosen Linken“ und „heimatvertriebenen Rechten“ bringen. Seine Definition, daß sich Rechts auf den Raum, Links aber auf die Zeit beziehe und linke Träume daher nicht erfüllbar seien, da „ihre Welt immer hinterm Horizont liegt“, während „Rechts den Raum erobern und ihn halten kann“, gehört mit zum Klügsten, was jemand gesagt hat, der sich in aufgeregter Zeit der radikalen Linken anschloß und erst später merkte, daß der „architektonische Plan der Geopolitik und Raumordnung“ auf dem Terrain der Rechten mehr als nur Faszination ausstrahlte. Links störte ihn vor allem aber auch das „aggressive Kokettieren“ mit der Schuld, denn Schuldgefühle, so Beltz, gehören „in den Beichtstuhl und in den Massagesalon, in der Politik haben sie nichts zu suchen. Wer sich schuldig fühlt, sollte sich auspeitschen lassen oder den Rosenkranz nehmen – das reicht. Schuld ist keine politische Kategorie.“ Ein Jahr vor seinem plötzlichen, viel zu frühen Tod im März 2002 (JF 15/02) schrieb er: „Ich denke, mein Traum vom Sterben ist der auf der Bühne. Das muß eine ausverkaufte Vorstellung in einem großen Theater sein. Und ich stelle mir vor, wie der rauschende Beifall, wenn die Leute merken, ich sterbe, mich gerade so hinüberträgt.“ Matthias Beltz, dieser wohl bedeutsamste politische Kabarettist Deutschlands, fehlt uns heute mehr denn je! Foto: Matthias Beltz, Heinz Schenk: Dem Publikum, meist linke Spießer, blieb das Lachen oft im Halse stecken Matthias Beltz: Gut und Böse. Gesammelte Untertreibungen in zwei Bänden. Hrsg. von Volker Kühn. Zweitausendeins, Frankfurt 2OO4. 971 Seiten mit einer MP3-CD. 44,8O Euro