War Allah ein Mondgott und sein Prophet folglich ein Mondsüchtiger? Diese Frage wühlt zur Zeit die muslimische Gelehrtenwelt jenseits der Tagespolitik auf, seitdem Dr. Robert Morey, ein fleißiger Sachbuchschreiber und eifriger Streiter für den rechten (christlichen) Glauben aus den USA, den Band "The Moon-god Allah in the Archeologie of the Middle East" (New York 2004) auf den Markt geworfen hat.
Viele Polemiken gegen Morey und sein Buch füllen inzwischen die Zeitungsspalten und Internetseiten, und jede gibt sich empört und grimmig. Morey wird als hinterhältiger Feind des Islam apostrophiert, gleichzeitig aber als Trottel, den kein Theologe ernstnehmen könne. Er trägt wohl selber Schuld an diesem geballten Zorn, denn sein Stil klingt ziemlich maliziös. Doch das Buch ist trotzdem interessant und hat offenbar eine sehr wunde Stelle im islamischen Selbstverständnis berührt.
Pankraz hat sich schon immer gewundert, weshalb ausgerechnet der Halbmond, seit Urzeiten Symbol weiblicher Keuschheits- und Fruchtbarkeitsgöttinnen, zum Wahrzeichen einer so männlichen Religion wie des Islam aufsteigen und auf so viele Flaggen islamischer Staaten geraten konnte. Überzeugende Auskunft darüber erhielt er nicht. Man verwies ihn auf eine Koransure (2:189), wo es heißt: "Sie fragen dich nach den Neumonden. Antworte: ‚Diese sind festgesetzte Zeiten für die Menschen und den Hadsch’". Der Mondkalender also als Ordnungsfaktor und der Neumond als Zeichen für den Aufbruch des Propheten nach Medina. Wirklich überzeugend ist das nicht, denn den Neumond kann man nicht sehen, indes, den Mond auf den Flaggen kann man sehr wohl sehen, auch wenn er nur ein Halb- oder Viertelmond ist. Wo bleibt das Bilderverbot?
Moreys Darstellung läuft nun darauf hinaus, daß der muslimische Halbmond ein Erbe aus vorislamischen Zeiten ist, als die arabischen Beduinen sich in ihrer Gläubigkeit noch an den altorientalischen Göttern in den großen Städten Ägyptens, Syriens und Mesopotamiens ausrichteten. Er verweist darauf, daß die gewaltige, in den Städten zeitweise alles dominierende Göttin Ischtar/Astarte eine Mondgöttin gewesen ist, die zwei Mondsicheln auf ihrem Haupte trug, und nennt weitere vorderasiatische Mondgottheiten: Annit, die später von Ischtar verdrängt wurde, Britomaris, die von den Seefahrern angebetet wurde, Hathor, die mächtige, die Nacht mit Glanz erfüllende Himmelskuh der Ägypter, die gegen jeden Sonnengott bestehen konnte.
Die Pointe des Buches liegt in der Interpretation archäologischer Funde, die angeblich zeigen, daß auf der arabischen Halbinsel ebenfalls eine mächtige Mondgottheit herrschte, die zumindest während einer ihrer vielen Metamorphosen "Illah" hieß, woraus dann später "Allah" geworden sei. Morey fügt seinem Buch Abbildungen von in Südarabien ausgegrabenen Statuetten bei, die Illah darstellen sollen, und gibt der Vermutung Raum, daß Illah von den Arabern schon vor Erscheinen des Propheten als Name für Gottsein, Göttlichkeit überhaupt verwendet wurde.
Mit unüberhörbarem Triumph wird anschließend resümiert: Allah, der Gott der Muslime, ist mithin gar nicht der "eine" Gott der Bibel, als den man ihn später hinstellte, er ist vielmehr (war an seinem Ursprung) eine Regionalgottheit aus der zahlreichen altorientalischen Familie der Mondgötter, wahrscheinlich eine Frau wie Ischtar und Annit. Und der Prophet empfing die Offenbarung, als er unterm gleißenden Mondschein südlicher Nächte von heiligem Geist erfüllt wurde.
Nun, was soll’s", ist Pankraz versucht zu sagen. Worauf Morey so triumphierend herumreitet, sind doch wissenschaftliche Selbstverständlichkeiten. Es gibt das Fach der Religionswissenschaftler, und zu deren Beruf gehört es nun einmal, mit allen zur Verfügung stehenden Forschungsmethoden und Hilfsmitteln die Geschichte des Gottesglaubens aufzuhellen. Jeder Glaube, auch der gewaltigste und eingängigste, hat seine Entstehungsgeschichte, in jedem Glauben finden sich heterogene, für die Gläubigen oft befremdliche Vorstellungsüberreste aus mythischen Zeiten. Aber diese tun der Großartigkeit eines elaborierten Glaubensgebäudes doch nicht den geringsten Abbruch! Im Gegenteil, zu wissen, wie etwas zu dem wurde, was es ist, kann eigentlich niemals schaden.
So denken freilich nur aufgeklärte Mitteleuropäer. Religiöse Fundamentalisten wie der amerikanische Christ Morey und seine muslimischen Widersacher denken anders. Für sie ist jede archäologische Fundstätte ein geistiger Kampfplatz. Es wird nicht gefragt, was da gefunden wird, sondern einzig, ob der Fund das Dogma befestigt oder relativiert. Und wenn er es (scheinbar) relativiert, springen sofort sämtliche Taschenmesser auf, und es hebt ein Hauen und Stechen an, vor dem Klio, die Muse der Wissenschaft, nur eiligst fliehen kann.
Subtile Detailfragen, wie sie etwa Professor Shabir Ally, einer der umsichtigsten Kritiker Moreys, aufwirft, verwirren bloß die Fronten. Ally behauptet, daß die von Morey gezeigten Statuetten nicht Götter, sondern Menschen darstellen, und er liefert außerdem lange Argumentationsketten, um nachzuweisen, daß es zwar durchaus eine proto-islamische Hauptgottheit auf der arabischen Halbinsel gegeben hat, daß sie aber keine Mondgöttin war, sondern "Sin", jener unsichtbare, ewig zornige und Schicksalsblitze wie Schwertstreiche austeilende Wüstengott, den die Ägypter "Seth" nannten und der auch das Urbild des jüdischen Jahwe gewesen sein soll.
Hätte Ally recht, wäre das eigentlich schade, findet Pankraz. Denn eine sanft strahlende Mondgöttin am Anfang ist allemal sympathischer als ein zeternder und niedermachender Schwertkrieger. Auch wäre, wenn sich Illah, die Mondgöttin, hielte, endlich halbwegs geklärt, woher der Halbmond auf den islamischen Flaggen kommt.