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Nichts mehr erwartet

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Im Jahre 1952 postulierte Arnold Gehlen im Anschluß an Friedrich Nietzsche und den französischen Philosophen Antoine Cournot „das Ende der Geschichte“. Vor dem Hintergrund einer globalen Pattsituation, in der die USA und die Sowjetunion einander und die Weltgeschichte durch ihr atomares Vernichtungspotential zur Unbeweglichkeit verurteilt hatten, schrieb der nach dem Krieg an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer lehrende Sozialphilosoph (1904-1976): „Und wenn wir jetzt zu dem vorhin berührten Thema der beiden großen Welthälften mit ihren Basisideologien zurückkehren, dann ist vielleicht meine Folgerung wenig überraschend, wenn ich sage, daß ideengeschichtlich nichts mehr zu erwarten ist.“ Die sogenannten Entwicklungsländer würden, so Gehlen, „keine positive dritte Ideologie“ finden können. Die Geschichte, verstanden als Ideengeschichte, sei an ihrem Ende angelangt: „Denn Globalideologien dieser Art einschließlich der historisch bereits überlebten, wie des Faschismus, oder der nicht zur Entwicklung gekommenen Ansätze, wie der Heilslehren von Rousseau oder Nietzsche, sind ausnahmslos europäische Resultate, das gibt es außerhalb dieses Bereiches nicht. Ich exponiere mich also mit der Voraussage, daß die Ideengeschichte abgeschlossen ist und daß wir im Posthistoire angekommen sind.“ Gehlens Zeitdiagnose kann weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Nach dem Ende des Nationalsozialismus 1945 und dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ 1989 scheint die Zeit der großen Ideologien vorbei zu sein. Das Ende der „großen Erzählungen“, der métarécits, zu behaupten, ist in akademischen Kreisen heute fast schon ein Gemeinplatz. Oft wird dabei auf den amerikanischen Soziologen Daniel Bell verwiesen, der in den siebziger Jahren die These vom „Ende der Ideologien“ aufstellte. Einer großen Beliebtheit in akademischen Kreisen erfreut sich auch der französische Philosoph Jean-François Lyotard (1924-1998), der in seinem 1979 erschienenen Buch La Condition postmoderne behauptete, die „Zeit der Metaerzählungen“ sei in unserer „postmodernen“ Zeit vorbei. Nach Verweisen auf Gehlens These vom „Posthistoire“ spürt der Leser aber meist vergebens. Der deutsche Philosoph Wolfgang Welsch, Autor und Herausgeber mehrerer Veröffentlichungen zur Postmoderne, meint sogar: „Mit diesem Theorem der ‚Posthistoire‘ (…) hat die Postmoderne nichts gemeinsam.“ Gehlens These über das Ende der Ideengeschichte ist aber durchaus mit Bells „Ende der Ideologien“ vergleichbar. Welsch‘ Behauptung, die Begriffe „Postmoderne“ und „Posthistoire“ hätten nichts miteinander zu tun, blendet die Verwandtschaft zwischen beiden völlig aus. Gehlen lernt der deutsche Student fast nur als Anthropologen kennen, der das Konzept vom Menschen als organischem „Mängelwesen“, das zum Überleben auf Institutionen angewiesen ist (JF 51/99), entwickelte. Eine umfassende wissenschaftliche Würdigung der Arbeit Gehlens steht aber noch aus. Festzuhalten ist: Die Problematik der Großideologen wurde in der Nachkriegszeit – lange vor modischen zeitgenössischen Philosophen und als Lyotard noch Mitglied der marxistischen Gruppe „Socialisme ou Barbarie“ war – von dem konservativen Arnold Gehlen diagnostiziert.

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