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Nichtausruhen im Negativen

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Cato, Palmer, Exklusiv

Die Deutschen haben eine wunderliche Art, mit ihren Dichtern umzugehen. Wer nicht von allein an Deutschland irre wird, den erklären sie für oder machen ihn irre, um ihn nach seinem Ableben sogleich zu den Nationalheroen deutscher Geistesgeschichte zu stellen. Was aber, wenn die Hölderlin-Masche einmal nicht recht ziehen will, zumal sich der Alte vom Bodensee schlau zu entziehen weiß? Der hat seinen Hölderlin gelesen, der hat die Erbschaft, die Goethe, Schiller und Hölderlin gestiftet haben, nicht verschlampt und setzt seine Erfahrung gegen erfahrungslose Begrifflichkeiten, Sprache gegen Vokabular. „Sprache wird immer dann zum Vokabular, wenn sie positiv werden soll.“ Dann wird Sprache als Vokabular gelesen und durch Vokabular ersetzt. Dann wird Literatur erkennungsdienstlich behandelt, ihr Verfasser sowieso. Dann wird der Redner beim Wort genommen, das der gar nicht gesagt oder geschrieben hat, und ihm vorgeworfen, gerade besonders raffiniert provozieren zu wollen, indem er nicht sagt oder schreibt, sondern verschweigt, wovon er genau wisse, daß er gesellschaftlich geächtet würde, wenn er es denn sagte oder schriebe. Da wird die Auschwitzkeule ausgerechnet gegen den geschwungen, der eindringlich vor einer „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ warnt. Da wird zur Hatz auf ein Stück Literatur geblasen, auf ein Buch, das dann in der Tat – mit den Worten Ulrich Greiners – der Roman zur Debatte wird, die es ausgelöst hat. Da folgt eine politische Rufmordkampagne der nächsten, geben Lesungen Anlaß für „antifaschistische Spaziergänge“ und für Boykottaufrufe gegen Bibliotheken und Buchhandlungen. „Wer ist denn hier der Jude?“ fragt Nathan in auswegloser Lage. Die Kampagnen nämlich gegen den Verfasser von Paulskirchen-Rede und „Tod eines Kritikers“ speisen sich aus eben den antisemitischen Reflexen, die aufzudecken sie losgetreten wurden. Ein Netzwerk von Intellektuellen gegen den Intellektuellenhaß von „Flachlandintellektuellen“ scheint überfällig! Der Schriftsteller Martin Walser hat sich weder irre noch kirre machen lassen; er geht weiter seiner Profession nach, der „Verwaltung des Nichts“. – „Meine Arbeit: Etwas so schön zu sagen, wie es nicht ist.“ Gegen Bessersein und Besserwissen macht Walser Empfindungen geltend: historisch geschulte Empfindungen, einem „Geschichtsgefühl“ vertrauend, das ihn über die ganzen Jahre des geteilten Deutschland, das vielen, ja, den meisten, schon Gewohnheit geworden war, nicht getrogen hat. Er hat den ungeheuren Riß in der Welt, die er hatte nutzen wollen, in seinem Geschichtsgefühl nicht unterbringen können. Ein Dichter darf es auch gar nicht! Das haben ihm jene „Zeitgeistdiensthabenden“ und „Gewissenspfleger der Nation“ nicht verziehen, die bis heute die deutsche Einheit in ihrem Geschichtsgefühl nicht haben unterbringen können. Denn auch wenn die Vereinigung de facto als Beitritt – das Grundwort trifft die Sache – über die Bühne ging, so verhieß sie ja nicht nur das Ende der DDR, sondern auch das der alten BRD. Ein 9. November als Glückstag, von der tonangebenden bundesdeutschen Historiographie gar nicht mehr vorgesehen, erzwingt selbstverständlich keine Revision der deutschen Geschichte, die man nicht revidieren kann, aber allen Denkens über deutsche Geschichte. Doch anstatt eigene Auffassungen zu prüfen und zu revidieren, wird Walser Geschichtsklitterung unterstellt, was überhaupt nur möglich ist, wenn Walsers Bekenntnisse zurechtgeklittert werden, wie es gerade paßt. Geschichte ist nicht nur das, was gewesen ist, sondern auch das, was nicht sein konnte, mit allen verworfenen und vergebenen Möglichkeiten. Nur wenn das Nichtgewesene im Gewesenen bedacht wird, können Lehren aus der Geschichte, der deutschen zumal, gezogen werden, immer wieder neue und andere und keine ein für allemal. „Das Selbstbewußtsein (…) kann sich bilden durch das Erlebnis der Zugehörigkeit zu einem noch größeren Ganzen: zu Europa. Europa ist überhaupt die Lösung der deutschen Frage, die es ernsthaft seit dem 9. 11. 89 schon nicht mehr gibt. Nationen wird es geben, solange es nationale Aufgaben gibt.“ Als allererste nationale Aufgabe nennt Walser die Heilung der Teilungsschäden, die Solidarität mit denen, die immer noch die Folgen dieser Teilung zu tragen haben; neoliberalistischem Köhlerglauben setzt Walser sein Geschichtsgefühl entgegen, „das in diesem Fall auch ein Geschichtsmitgefühl ist“. „Es ist natürlich ein Unglück, recht haben zu müssen, das weiß ich auch. Ein selbstverschuldetes dazu.“ Walser nimmt sein „Unglück“ gelassen, zumindest äußerlich, und beharrt störrisch auf seinem Recht, sich in öffentliche, also eigene Angelegenheiten einzumischen. Ohnehin zöge ein Rückzug aus der Welt der Diskurse nur den Vorwurf der Regression und des Autismus nach sich. Die literarische Qualität von Walsers Aufsätzen ermißt sich allein schon daran, daß sie die Konzentration des Lesers, der sich freundlich angenommen fühlt, von den unwürdigen Vorgängen um die Person des Autors abziehen und geduldig auf die verhandelten Gegenstände lenken. Diese Vorgänge einfach zu vergessen, gibt es keinen Grund, weder für den Leser, noch für den Autor. Dem gelingt denn auch das Meisterstück, sie in seine Überlegungen einzubeziehen, zu objektivieren, an ihnen den herrschenden Zeitgeist kenntlich zu machen und also: überwindbar. Ob Walser die Frauenstimmen in den Opern Richard Strauss‘ zu fassen sucht, und selbstverständlich entgleiten sie jeder Sprache, denn es sind ja Frauenstimmen, ob er mit Hubert Giersch „Abschied von der Nationalökonomie“ nimmt, mit Spinoza und Goethe vom Monotheismus, ob er über Bücher oder wahlverwandte Dichter schreibt oder vom Schwimmen, wie so viele Dichter, und gleich darauf von der Zärtlichkeit, wie so viele Dichter – stets bleibt er seinen Vorsätzen treu, immer aus Erfahrung zu reagieren und niemals gegen etwas zu schreiben. Mehr denn je ist Walser zu einer Person der Öffentlichkeit geworden, und er nimmt sie auf seine Art in sein Lebenskunstwerk hinein. Die Pose des Zauberers steht ihm weniger. Er vertraut Jean Paul. Der hätte an den deutschen Doppelwörtern seines formulierungswütigen Verehrers, all den Geistesglanz und Existenzintensivität und Gedankenwirbel und Geschichtsmächtigkeit und Verantwortungsernst und Verachtungspotenz undundund, gewiß seine helle Freude. Er wäre schon zufrieden, schreibt Walser, „wenn ich durch das Lesen und Wiederlesen dieser Briefe mir ‚das fast absolute Geltenlassen des Anderen‘ als erlernbar vorstellen könnte. Vorstellen nicht als Schwundstufe des Vitalen, sondern Geltenlassen als Lieben.“ Es geht dabei um den vielhundertseitigen Briefwechsel zwischen Rudolf Borchardt und Rudolf Alexander Schröder, einen Briefroman, Freundschaftsroman, den Walser emphatisch bespricht. Anspruch auf Geltung haben Dichter und Vermittler, Virtuose der Selbstdarstellung und Freundschaftsbegabung, Don Quixote und Sancho Pansa. Wenn Freundschaft zwischen zwei so Grundverschiedenen wie Borchardt und Schröder möglich war, dann, schreibt Walser, ist Freundschaft überhaupt möglich. Am Ende des Buchs steht die Totenklage um den Freund, den Verleger Siegfried Unseld, und der Abschiedsbrief, den ein – und das Wort ist hier mit Bedacht gesetzt – zutiefst getroffener Martin Walser an die Mitarbeiter des Suhrkamp-Verlags richtet, nicht aber an die Leitung des Hauses. Noch scheint es unmöglich, auch diese Texte als literarische zu lesen. Aber sie sind es. Sie dürften vor der Zeit bestehen. All die verdeckten und offenen Ermittler in Sachen Antisemitismus und Neu-Nationalismus dürfen sich der Nennung ihrer Namen in Fußnoten und Kommentaren insoweit sicher sein, als künftigen Lesern die wunderlichen Verhältnisse gewiß erst erläutert werden müssen, in die Martin Walsers Aufsätze eingegriffen haben. Das ist doch wenigstens was. Martin Walser: „Es ist natürlich ein Unglück, recht haben zu müssen, das weiß ich auch“ Martin Walser: Die Verwaltung des Nichts. Aufsätze. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004, geb, 284 Seiten, 22,90 Euro.

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