Er definierte sich selbst als konservativen Liberalen mit sozialistischem Einschlag, der den Linken nicht links und den Rechten nicht rechts genug war, zur politischen Mitte aber schon gar nicht gehören wollte. Hans Hellmut Kirst, am 5. Dezember 1914 im ostpreußischen Osterode geboren, wäre am liebsten Buchhändler oder Lehrer geworden, statt dessen wurde er am 1. April 1933 Soldat beim Artillerieregiment in Königsberg. Fast auf den Tag genau zwölf Jahre bis zum endgültigen Zusammenbruch blieb er Soldat der Deutschen Wehrmacht. Das Kriegserlebnis ließ ihn nie wieder los, getrieben von einem Trauma handelte er seine beiden Themen ab: den für ihn immer noch unbewältigten Nationalsozialismus und die Problematik des Soldatseins. Er selbst gehörte nie der Partei, der Hitlerjugend oder sonst einer NS-Organisation an, „aber“, sagte er einmal „ich habe an ein Deutschland geglaubt, das identisch mit Hitler gewesen ist“. Die deutsche Vergangenheit war immer auch seine eigene, mit der er fertigzuwerden versuchte. Unentrinnbar eingebettet in das Verhängnis des deutschen Volkes, zu dem er gehörte, fühlte er sich der „erbarmungslosen Hartnäckigkeit“ seines Gewissens ausgeliefert, sein „unausrottbares Schuldgefühl“ hielt mit nahezu unverminderter Stärke an. Kirsts Vorfahren mütterlicherseits waren Handwerker und Geschäftsleute aus Holland, väterlicherseits Bauern und Beamte, die aus dem Salzburgischen eingewandert waren. Der Vater war Polizeibeamter und mußte häufig seinen Einsatzort wechseln. So besuchte der Sohn verschiedene Volksschulen in Marwalde, Gilgenburg und Tannenberg im Landkreis Osterode, dann das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium sowie die Handels- und Höhere Handelsschule in Osterode. Auf dem Gymnasium war er nicht besonders erfolgreich, und nach Abschluß der Handelsschule wurde er Hilfrendant in der Rendantur des Rittergutes Mühlen. Auf Anregung seines Vaters wurde er Berufssoldat, nachdem er die Stelle auf dem Gut wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Depression wieder aufgeben mußte. Als junger Leutnant machte er die Feldzüge in Polen, Frankreich und Rußland mit, wurde 1944 zum Oberleutnant befördert und war Aufsichtsoffizier und Lehrer für Kriegsgeschichte an einer Luftkriegsschule. Als Ordonnanzoffizier fungierte er einige Wochen lang als nebenamtlicher NS-Führungsoffizier. Zum Kriegsende war er Chef der Stabsbatterie der gleichen Kriegsschule. 1945/46 verbrachte Kirst neun Monate im amerikanischen Internierungslager Garmisch (siehe Kasten). Nach seiner Entlassung arbeitete er als Gärtner, Straßenarbeiter und Gemeindeschreiber im Raum von Schongau. Hier erfolgten die ersten literarischen Notizen und der Entwurf eines Romans, aus dem später die berühmte Trilogie „08/15“ werden sollte. 1947 brachte ihn der Münchner Kulturreferent Herbert Hohenemser als Filmkritiker in die Feuilletonredaktion des Münchner Mittag, des späteren Münchner Merkur. Drei Jahre später erschien sein erstes Buch „Wir nannten ihn Galgenstrick“, das in sieben Sprachen übersetzt wurde. Nach „Aufruhr in einer kleinen Stadt“ (1953) erschienen 1954/ 55 „08/15 in der Kaserne“, „08/15 im Krieg“ und „08/15 bis zum Ende“. Die Trilogie wurde ein Welterfolg, und es gab hitzige Diskussionen, nicht nur um die Bücher, sondern auch über die gleichnamigen Filme. Die Drehbücher für alle drei Teile schrieb übrigens Ernst von Salomon, Regie führte Paul May, die Hauptrolle spielte Joachim Fuchsberger. Kirsts sarkastische Schilderung des Soldatenlebens vor, während und gegen Ende des zweiten Weltkrieges wurde von manchen Kritikern sogleich als „revisionistisch“ gebrandmarkt, der Autor habe sich um „zentrale Fragen herumgedrückt“. Tatsächlich sind die Geschichten um den Gefreiten Asch und den Schleifer Platzeck alles andere als ein Heldenepos, dafür aber höchst spannend und unterhaltsam, die diversen Charaktere so differenziert angelegt, wie man das von einem Landserroman üblicherweise nicht erwartet. Weitere überragende internationale Erfolge in den nächsten Jahren waren: „Fabrik der Offiziere“ (1960), „Die Nacht der Generale“ (1962), „Aufstand der Soldaten“ (1965), das später als „Aufstand der Offiziere“ dramatisiert wurde, „Die Wölfe“ (1967), „Deutschland, deine Ostpreußen“ (1968), „Die Nächte der langen Messer“ (1975). Ein Beobachter am Rand des Geschehens Mit Ausnahme der Sowjetunion, die nur Auszüge in literarischen Zeitschriften veröffentlichte, brachten alle Ostblockstaaten Bücher von Kirst heraus. Die DDR allerdings schwieg ihn gänzlich tot. Kirst selbst glaubte, daß man dort Ähnlichkeiten zwischen den Zuständen im eigenen Land und denen der NS-Zeit sah, die er in seinen Büchern beschrieb. In den Jahren 1972 bis 1975 war Kirst Kolumnist der Münchner Abendzeitung. Persönlich lebte er bewußt zurückgezogen einen einfachen Lebensstil. Sowohl als Schriftsteller als auch als Journalist empfand er sich immer als Beobachter am Rand und vor allem als sehr ausgeprägten Zuhörer und Zuschauer. Menschen zogen ihn magisch an, ihre Gesichter, ihre Bewegungen, das was sie sagten. Das Schreiben sah er nicht nur als pure Arbeit an, vielmehr als einen großen, nicht wegzudenkenden Teil seines Lebensinhaltes. Er hatte Freude an Kunstwerken und besaß eine große Sammlung expressionistischer Bilder und afrikanischer Plastiken und Masken. Neben seinem Haus in Feldafing, abseits von den geschäftigen und wohlhabenden Ufern des Starnberger Sees, hatte er sich ein Urlaubshaus in Ponte Tresa, am Ende des Luganer Sees gemietet, wo er acht bis zehn Wochen im Jahr verbrachte. Länger konnte und wollte er nicht von Deutschland fort sein, weil er die Menschen seiner Sprache um sich herum brauchte und über Dinge schreiben wollte, die in Deutschland passierten. Kirst war besessen vom Handwerk des Schreibens Zeit seines Leben war Kirst ein stiller, bescheidener Mann, der nachmittags in die Münchner Kinos huschte, um seine Filmkritiken zu schreiben, mit denen er sich zunächst als Journalist einen Namen gemacht hatte. Als dann über Nacht das große Geld auf ihn herunterregnete, saß der anspruchslose Ostpreuße immer noch mittags in der Kantine des Münchner Funkhauses und lief gewöhnlich mit offenem Hemd und ohne Krawatte herum. Besessen war er jedoch vom Handwerk des Schreibens. Nacht für Nacht saß er an seinem kleinen graziösen Schreibtisch und schrieb ein Buchkapitel. Seinen Erfolg erklärte er so: „Meine Bücher sind Nachrichten aus Deutschland.“ Diese Nachrichten wurden in 26 Sprachen der Welt gelesen und brachten es auf 200 Übersetzungen und 377 Auslandsausgaben. Die Weltgesamtauflage seiner Bücher beträgt weit über zehn Millionen Exemplare. Von der hochgestochenen deutschen Literaturkritik nur wenig zur Kenntnis genommen, wurde Kirst zum größten literarischen Auslandserfolg Deutschlands der Nachkriegszeit. Anders als die linken Intellektuellen, die ihn ständig – und bis auf ein einziges Mal, als er unter Druck gegen ein Vertriebenentreffen unterschrieb, ohne Erfolg – für ihre durchsichtigen Zwecke instrumentalisieren wollten, trachtete Kirst nicht danach, die NS-Herrschaft nachträglich zu bezwingen. Er versuchte sie vielmehr zu erklären. Denn Kirst war dabeigewesen und schilderte die Wehrmacht aus eigener Anschauung. Das Ergebnis war ein gewaltiges, unschätzbares Erinnerungsbild. Ohnehin hatte er niemals die Absicht gehabt, sich elitär fühlenden Literaturbetrachtungsgruppen anhaltende Freuden zu bereiten. Er sah sich als Erzähler und wollte Leser haben, wie er in seiner Jugend selbst einer war: naiv, neugierig, sehnsuchtsvoll. Auffällig war seine Zurückhaltung gegenüber den technischen Errungenschaften der Moderne. Er blieb ein vergleichsweise konventioneller Autor, eben ein Volksschriftsteller aus dem Gebiet des Masurenlandes, das zahlreiche bodenständige Dichter hervorgebracht hat. Im Alter von 74 Jahren starb Hans Hellmut Kirst am 23. Februar 1989 in Bremen. Foto: Hans Hellmut Kirst (1914-1989): Volksschriftsteller aus Masuren Schreibverbot
Was Franz Josef Strauß mit Hans Hellmut Kirst zu tun hat Eine zwielichtige Rolle bei der Internierung von Hans Hellmut Kirst spielte der spätere bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Anfang 1945 waren beide als Offiziere an der Luftkriegsschule im bayerischen Schongau tätig. Nach Kriegsende denunzierte der inzwischen als Landrat eingesetzte Strauß seinen Kameraden Kirst bei den Amerikanern als Nationalsozialisten – woraufhin dieser für neun Monate inhaftiert wurde. Nach der 1946 erfolgten Entlassung als „unbelastet“ bestätigte ein Entnazifizierungsverfahren, an dem Strauß mitwirkte, diesen Spruch. Trotzdem verhängte Strauß ein zweijähriges Schreibverbot gegen Kirst. Und noch vierzig Jahre später beschreibt er in seinen Memoiren, wie Kirst am 20. April 1945 eine glühende Rede auf Hitler gehalten haben soll. (tha)