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Folklorisierung eines Mythos

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Cato, Palmer, Exklusiv

„An dieser Schlacht im Teutoburger Walde hing das Schicksal der Welt“, so urteilte Ernst Moritz Arndt 1813 über die Varusschlacht (9 n. Chr.), in der Arminius mit seinen germanischen Kriegsvölkern zwischen 10.000 und 20.000 Römer (fast zehn Prozent der Streitkräfte des damaligen Römischen Reiches) vernichtete. Dieser Überbewertung durch Arndt in der Zeit der Befreiungskriege entspricht heute eine gegenläufige Tendenz: Die Schlacht, die nach dem unglücklichen römischen Oberbefehlshaber in Germanien benannt ist, wird in ihren geschichtlichen Auswirkungen eher bagatellisiert. In der Vergangenheit hat es zahlreiche Versuche gegeben, die Schlacht, die nach Tacitus im „saltus teutoburgensis“ stattfand, zu lokalisieren. Der spektakulärste Versuch dieser Art war im Kaiserreich die Errichtung des Hermannsdenkmals bei Detmold. („Hermann“ ist die volkstümlich gewordene, aber sprachlich nicht haltbare Eindeutschung von Arminius.) Ähnlich willkürlich war 1672 die Anordnung des Fürstbischofs von Paderborn gewesen, mit welcher der auf bischöflichem Territorium gelegene Osning in Teutoburger Wald umbenannt wurde. Bei allen Lokalisierungsversuchen fehlten archäologische Funde. Dies änderte sich 1989/90. Ausgräber stießen in der Kalkrieser Senke nördlich von Osnabrück auf Überreste eines Schlachtgeschehens, die sich der Regierungszeit des Augustus zuordnen ließen. Was seitdem ausgegraben wurde, ermöglicht es, ein komplettes antikes Schlachtfeld zu rekonstruieren. Für die Archäologen von Kalkriese stand bald fest: Hier fand die Varusschlacht statt. Ein Museumspark entstand. Selbsteinschätzung des Museums: „Kalkriese zählt heute zu den bedeutendsten Ausgrabungsstätten Europas.“ Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund präsentiert bis zum 2. Mai rund einhundert archäologische Fundstücke (überwiegend Nachbildungen) aus Kalkriese unter dem Titel: „Die Varusschlacht. Eine Legende wird ausgegraben“. Tafeln suggerieren den Ausstellungsbesuchern, die Varusschlacht sei nun eindeutig lokalisiert. Zweifel an dieser These werden nicht berücksichtigt. Kein Hinweis darauf, daß die Ausgrabungen auch als Kampfspuren aus dem späteren Rachefeldzug des Germanicus gedeutet werden könnten. Eine einzige Tafel informiert die Besucher über „Legende und Wirklichkeit“. Hier zeigt sich, daß die Ausstellungsmacher einen Beitrag leisten möchten zur politischen Schleifung des Arminius/Hermann-Mythos. Es geht ihnen, wie seit 1945 üblich, um die entpolitisierende Folklorisierung eines Mythos, der sich seit dem Zeitalter des Humanismus im deutschen Kulturraum entfaltet hat. Der Mythos wird auf dieser Tafel nur ganz unzulänglich erfaßt; bezeichnend ist die Zeitgeistfloskel: „Heute ist der heroische Germane nicht mehr gefragt.“ Kritisch-nachdenkliche, gebildete Besucher können sich mit dieser Schlaffi-Perspektive nicht abfinden. Sie wissen, daß Mythen ein wichtiges Medium sind, um politische Sinnstrukturen und Wertvorstellungen zu vermitteln, daß sie als Instrumente symbolischer Politik zeichenhafter Ausdruck politischer Kultur sein können. Es lohnt sich daher, darüber nachzudenken, ob nicht dieser „heroische Germane“ Arminius durch sein politisches und militärisches Wirken eine bleibende Romanisierung Germaniens bis zur Elbe verhindert und Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß sich deutsche Sprache und Kultur überhaupt herausbilden konnten. Durchaus aktuell ist ein Nachdenken über Widerstand gegen politische und geistige Kolonisierung. Es führt in die Irre, wenn man Arminius zum politischen Heilsbringer chauvinistischen Zuschnitts stilisiert. Ähnliches gilt, wenn er in den Bereich unpolitischer Comic-Helden abgedrängt wird. Ein neuer Zugang zu Arminius und der Varusschlacht ließe sich gewinnen, wenn man sich die Leitlinien von Claus Peymanns erfolgreicher Bochumer Inszenierung der Kleistschen „Hermannsschlacht“ (1982) vergegenwärtigt. Man hätte es dann zu tun mit dem, was die historische Forschung als Befreiungsnationalismus kennzeichnet – ein Phänomen, das gerade im 20. Jahrhundert in zahlreichen Ausformungen zu beobachten war. So ließe sich auch der folkloristisch-touristische Slogan „Hermannsland -Ferienland!“ überwinden. Die Ausstellung ist bis zum 2. Mai im Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund zu sehen. Info: 02 31 / 50-2 60 28 Varusschlacht (9 n. Chr.): Widerstand gegen Kolonisierung

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