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Ein Leben in Hochglanz

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Helmut Newtons Bilder sind selten – wie Thorsten Hinz in dieser Zeitung zu Leni Riefenstahls Tod schrieb – „für die Ewigkeit“. Emphatisch, ja fast theatralisch zelebrieren sie ein vergängliches, ein schon wieder vergangenes und doch so nie gewesenes Jetzt – so schrill schwarzweiß, so stechend scharf, so zärtlich zackig, so eisig gleißend, so exotisch erotisch, so unterkühlt schwül. In seinen Aufnahmen wird das dem Augenblick zugerufene „Verweile doch …“ im wahrsten, aber eben auch im trivialsten Sinn nacktes Fleisch. Die Vervollständigung dieses Wortes fällt schwerer als die müßige Überlegung, welche Optik – Matt oder Hochglanz – einer solchen Biographie entspräche. Denn um das bloß gefällig Schöne, das Genehme und Angenehme, ist es Newton gewiß nie gegangen. Er hat Riefenstahl abgelichtet und unerschrocken jener Ewigkeit ins zerfurchte Gesicht geschaut, der ihr Schaffen schon damals zugeeignet schien. Newton selbst sprach lieber vom eigenen „Abkratzen“. Schon vor gut drei Jahren, zu Ehren seines Achtzigsten, lud Newtons Geburtsstadt Berlin ein, in einer Retrospektive durch des Fotografen Seelenlandschaften zu lustwandeln. Am Potsdamer Platz – dieser frischen Narbe über Wunden, die das 20. Jahrhundert riß; dieser Kalifornisierung ureuropäischen Bodens: ein „Platz“, wo keiner ist, sondern nur eine mit Glastürmen zugebaute Leere – stellte die Spätmoderne in der Neuen Nationalgalerie ihre kostbarsten Phantasien zur Schau: weiße Haut lechzt nach schwarzem Leder, pure Unzucht nach Züchtigung. Ganz kann solch technische Perfektion den Hunger auf Schund und Sünde nie sättigen – ungestillt die Sehnsucht nach der verrauchten, verruchten Stadt seiner Jugend, die für Newton bis zuletzt „mein Berlin“ blieb. Im vergangenen Herbst vermachte er der Stiftung Preußischer Kulturbesitz etwa tausend Fotos aus seinem Archiv als unbefristete Dauerleihgabe. Sie sollen ab 3. Juni in einem ehemaligen Offizierskasino am Bahnhof Zoo zu sehen sein. Seit Jahrzehnten überwinterten die Newtons in Los Angeles und lebten in Monte Carlo, das man schon deshalb ungern als ihre „Wahlheimat“ bezeichnet, weil sich in derart mondänen Kunstwelten auch Künstlernaturen nicht heimisch fühlen können. Eine solche aber wollte Newton – wohl eher aus echter Verachtung als aus falscher Bescheidenheit – gar nicht sein, sondern beschrieb sich als „Handwerker“. „Ich liebe das Vulgäre“, sagte er, schlechter Geschmack sei „sehr viel aufregender als guter“. Er verunglückte am letzten Freitagmittag (Ortszeit) in Hollywood bei der Ausfahrt vom Parkplatz seines Stammquartiers, der legendären Star-Absteige Chateau Marmont am Sunset Boulevard: hier starb 1982 John Belushi, hier pflegte Liz Taylor 1956 Montgomery Clift nach einem Autounfall, hier wäre Jim Morrison fast vom Dach gestürzt … „Er raste gegen eine Wand“, hieß es zunächst lakonisch, und wie zur Erläuterung: „Newton galt als der teuerste Fotograf der Welt“ – Eckdaten eines ungebremsten Lebens. Später erfuhr man aus unzähligen Huldigungen von FAZ bis Bunte, daß Newtons Tageshonorar 5.000 US-Dollar betrug, sein Wagen ein Cadillac, die Wand eigentlich eine Mauer und die Todesursache wahrscheinlich ein Herzinfarkt war. Am 31. Oktober 1920 als Helmut Neustädter, Sohn eines jüdischen Knopffabrikanten und einer amerikanischen Mutter, geboren, will sich Newton schon als zwölfjähriger Schuljunge in Marlene Dietrich verliebt haben. Seine zweite große Liebe, die Fotografie, würde ihn „in der Gosse enden“ lassen, habe der Vater ihm prophezeit. 1938 floh er aus Deutschland, das er nach eigener Aussage – im Gegensatz zu Berlin – nie vermißt hat, über Singapur nach Australien, diente dort in der Armee und eröffnete nach dem Krieg ein Fotostudio. 1948 heiratete er June Browne, die unter dem Künstlernamen Alice Springs ebenfalls als Fotografin Karriere machte. Das Paar zog 1956 nach Europa, um die Pariser Modewelt und vor allem die französische Vogue zu erobern. Newtons Unfalltod im Alter von 83 Jahren schockierte noch einmal, so wie es seine Bilder einst vermochten. Zwischen Florian Gersters Rausschmiß und Schneewarnungen wurde am Wochenende sogleich die „Bestürzung Berliner Politiker“ vermeldet. Gerhard Schröder, der sich noch als Kanzlerkandidat mit Aktentasche porträtieren ließ, würdigte Newton als „großen Künstler und großartigen Menschen … im Herzen immer ein Berliner“. Eine „erschütterte“ Kulturstaatsministerin Christina Weiss zählt ihn zu den „wichtigsten Protagonisten der modernen Fotografie“: „Es ehrt Deutschland sehr, daß Helmut Newton, den man einst von hier vertrieb, die Hand zur Versöhnung reichte. Seine Sammlung“, gelobte sie, „wird zu einem Glanzstück der Berliner Museen werden.“ Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit dankte dem „Künstler von Weltrang“, der die hochverschuldete Hauptstadt so großzügig beschenkte. Noch schwärmerischer äußerte sich Hugh Hefner. Für den Playboy-Gründer war Newton schlicht ein „Gigant“. Am Ende läßt sich mindestens dies über die Augenblicke sagen, die Newtons Lebenswerk ausmachen: Jeder einzelne war es wert, nicht unbelichtet zu vergehen. Fotos: Leni Riefenstahl (2000) und Jean-Marie Le Pen (1997), fotografiert von Helmut Newton: Um das Genehme und Angenehme ging es ihm nie Helmut Newton (1920-2004): Ein Künstler wollte er gar nicht sein

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