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Der Kapitalismus als Antichrist

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Theodor W. Adorno war einer der letzten Großbürger des so unbürgerlichen 20. Jahrhunderts. In der politischen Biographie des Philosophen schildert der FAZ-Redakteur Lorenz Jäger Adornos Kindheitserinnerungen an Amorbach, jenes schöne Städtchen im östlichen Odenwald, wo die Familie ihre Ferien verbrachte. Von dieser mainfränkischen Landschaft des im besten Sinne provinziellen Deutschlands vor Beginn des Ersten Weltkriegs sprach Adorno stets mit besonderer Sympathie. Selbst die Schmiede bildete hier „ein verkleinertes Wagner-Universum“, die Fähre erinnerte an den dunklen Nibelungen Hagen, ein Bild des hier ansässigen Malers Rossmann, die „Kornfurther Mühle“, riß ihn – obwohl „unvollendet und auf bedeutende Weise zerrüttet“ – hin. Später schenkte die Mutter ihm das Bild, das ihn ins amerikanische Exil und zurück begleitete. Den Sohn des Malers wird er nach seiner Rückkehr in Amorbach wiedersehen. Doch selbst noch in den USA erschien ihm – geplagt von Heimweh – das Odenwald-Städtchen Amorbach als Sehnsuchtsbild in seinen Träumen. Mitte der zwanziger Jahre wäre es fast zu einer Konversion zum Katholizismus gekommen. Zehn Jahre später schrieb der Sohn eines zum Protestantismus konvertierten Juden und einer katholischen Mutter einem Freund: „Ich selber habe einmal gemeint, durch den katholischen ordo sei es möglich, die aus den Fugen geratene Welt zu rekonstituieren, und damals, vor zehn Jahren, stand ich unmittelbar vor der Konversion, die mir als dem Sohn einer sehr katholischen Mutter nahe genug lag. Ich habe es nicht vermocht – die Integration der philosophia perennis scheint mir unrettbar romantisch und in Widerspruch zu jedem Zug unserer Existenz; und in Schönberg vermag ich von ihr keine Spur zu entdecken.“ Trotz der Faszination der durch seine Mutter und Tante vermittelten religiösen und spirituellen Erfahrung blieb diese Möglichkeit also verschlossen, selbst dem Freund und Förderer Paul Tillich als Vertreter eines christlichen Sozialismus sollte es nicht gelingen, die Adornos Denken bestimmenden Grundpfeiler – Marxismus, Psychoanalyse und Zwölftonmusik – mit der Erlösungsfrage zu durchbrechen. Bemerkenswert sind auch Jägers Hinweise, daß Adornos „Überlegungen unterirdisch mit dem deutschen Widerstand korrespondierten“. Die Aufsätze zu Kierkegaards Lehre von der Liebe und zum Briefwechsel Stefan Georges mit Hugo von Hofmannsthal erweisen in der Tat diesen Ansatz, und aus dem Kreis um George kam ja später auch der Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg. Und die Tradition der Kritischen Theorie jener Jahre – so der Autor – lasse sich mit den Namen „Marx, Nietzsche, Jochmann und George abgekürzt umschreiben“. Immerhin hatte sich Adorno schon in den dreißiger Jahren auch mit den großen Anti-Modernisten auseinandergesetzt, mit Alexis de Tocqueville, Edgar Allan Poe und Oswald Spengler; die Enthüllung der grausamen Wahrheit des Politischen versprachen die Autoren der „Dialektik der Aufklärung“ sich gerade nicht von liberalen Marktwirtschaftlern und linken Fortschrittsoptimisten, sondern von den „schwarzen“ Schriftstellern des Bürgertums: de Sade, Nietzsche, Hobbes und Machiavelli. So definiert Jäger auch die Dialektik der Aufklärung als „linke Antwort auf Oswald Spenglers ‚Untergang des Abendlandes‘, mit ähnlich großem Anspruch einer umfassenden Geschichtsdeutung“. In Adornos Beschreibung der Kulturindustrie als „genuin amerikanische Form eines totalitären Systems“ oder „hohnlachende Erfüllung des wagnerischen Traums vom Gesamtkunstwerk“, dem die Massen „widerstandslos“ verfallen, sieht Jäger nicht allein das Projekt einer Medien- und Kulturphilosophie und deren unnachsichtige Kritik eines sinnbefreiten Positivismus aufscheinen, sondern hört „das Echo einer theologischen Sprache der Beschreibung“. Mit diesem „Schreckbild eines unausweichlichen Zwangssystems, einer negativen Utopie“ könne nicht mehr die Kulturindustrie allein gemeint sein: „Es ist das goldene Kalb und mehr noch der Antichrist, als der sich der Kapitalismus entpuppt.“ Und hier leuchtet dann auch wieder jene negative Ontologie auf, die sich nicht im bloß soziologischen Verständnis von Herrschaftsverhältnissen erschöpft. Gerade in der Negativität wird das Moment einer Kritik deutlich, die ihren eigenen geschichtlichen Standort permanent reflektiert und sich dadurch gegen die verkürzte vulgär-marxistische Kritik des Herrschaftsbegriffs intellektuell immunisiert. Bereits 1949 hatten sich Adorno und Horkheimer von der Politik und Doktrin des Ostblocks scharf distanziert. Auslöser waren Auszüge aus der „Dialektik der Aufklärung“ in der DDR-Kulturzeitschrift Sinn und Form. „Die Revolutionsideen Marcuses und die Bedingungen des Frankfurter Instituts ließen sich nicht mehr vereinbaren“, schreibt Jäger. Indes wurde der Konflikt nur vertagt und brach zwanzig Jahre später um so heftiger wieder auf. Im Bündnis der Enkel mit den Großvätern avancierte Herbert Marcuse, der Prophet aus dem sonnigen Kalifornien, zum theoretischen Ersatzvater der Studentenbewegung, während über Adorno die Wellen des Protestes zusammenschlugen. Der Philosoph, der nach seiner Rückkehr in das zerstörte Frankfurt von der „unbeschreibliche(n) Kraft und Energie der deutschen Bevölkerung“ überrascht war, wurde nun zum Angriffsziel eines grassierenden Obskurantismus in der radikalen Linken. Mit Adornos Tod 1969 sieht Jäger auch das „normative Potential seiner Theorie erschöpft“. Darüber kann man streiten. Berechtigt scheint jedoch die durchgängig kritische Haltung des Autors gegenüber Adorno. Ein paar Beispiele mögen genügen: die Verhinderung der Berufung von Golo Mann auf einen Frankfurter Lehrstuhl wegen seines „unterschwelligen Antisemitismus“; Adornos Ignoranz gegenüber der Philosophie Heideggers; „auch Irrationales wie Familie und Nation“ waren keiner Diskussion mehr wert und die Nationen „grundsätzliche verhärtet gegen die Vernunft“ und „anachronistisch“; jedes verantwortliche Handeln in der bestehenden Gesellschaft wurde mit dem Bannstrahl „ideologiekritischer Destruktion“ belegt. So blieb letztlich nur der abstrakte Begriff des „Widerstands“, den Jäger, Siegfried Kracauer zitierend, als „riskantes Spiel“ beschreibt: „Teddie scheint mit schuld zu sein an dieser intellektuellen commotion, die sich radikal gebärdet und ohne jede Konsequenz ist. Er schreibt ja auch soviel, und manches, was ich davon sah, ist auf einer hohen Ebene falsch, ausgeleierter Tiefsinn und eine Radikalität, die es sich gut gehen läßt … Ich kenne kein anderes Beispiel von scheinbar eingreifender Kritik, die so wenig Greifkraft hat. Es bleibt am Ende alles beim Alten, und im Grunde fühlt er sich recht wohl dabei … Es wäre wohl zu spät jetzt, Teddie ändern zu wollen.“ Auf diese Seite Adornos, seine bewußte politische Abstinenz, hinzuweisen, hat aber nichts mit „niedermachen“ zu tun, wie die Rezensentin der Frankfurter Rundschau indigniert bemerkte. Immerhin begann Mitte der sechziger Jahre selbst Horkheimer die Kritische Theorie skeptischer zu betrachten: „Adorno sagt zu jeder seiner Analysen auch das Gegenteil. Aber trotz dieser auf die Spitze getriebenen Dialektik bleibt das, was er sagt, unwahr. Denn die Wahrheit läßt sich nicht sagen. Und persönlich bleibt er unbeteiligt. Es kommt aber darauf an, das, was man an Wahrheit hat, irgendwie zu realisieren“. Foto: Theodor W. Adorno (1903-1969): Mitte der zwanziger Jahre wäre er fast zum Katholizismus konvertiert Lorenz Jäger: Adorno. Eine politische Biographie. DVA, Stuttgart 2003, geb. 318 Seiten, 22,90 Euro

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