Bisher war der Zeitplan einigermaßen klar: Laut Bundestagsbeschluß sollte im Frühjahr 2005 der Palast der Republik in Berlin abgerissen werden und auf dem Gelände des Schloßplatzes eine Grünanlage entstehen. Später sollte das 1950 gesprengte Hohenzollern-Schloß wiederaufgebaut werden. Perspektivisch geht es darum, endlich die furchtbare Wunde in der Berliner Stadtmitte zu schließen. Doch wie es aussieht, geht das alte Trauerspiel in die nächste Runde, denn Geldmangel und die Unklarheit über Art und Zweck des Neubaus scheinen die Pläne weiter zu verzögern. So jedenfalls sind Äußerungen von Parlamentariern aus Bundestag und Berliner Abgeordnetenhaus zu verstehen. Jörg-Otto Spiller, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte, es gebe noch gar keinen baureifen Entwurf für das Schloß. „Was wollen wir mit einer kahlen Fläche in der Stadtmitte?“ Sein Fraktionskollege Siegfried Scheffler forderte, der Bundestag solle nochmals über die künftige Nutzung des Palastes der Republik beraten. Andere wie die Grünen-Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig wollen den von Asbest befreiten Rohbau des Palastes, der den Charme eines stillgelegten Industriegeländes besitzt, so lange erhalten, bis das Geld für den Neubau bereitgestellt wird. Denn noch ist unklar, wer die 20 Millionen Euro für den Palast-Abriß aufbringen und ob die Aktion nicht vielleicht noch teurer wird. Die Stimmen derjenigen, die für eine „Zwischennutzung“ des abgetakelten Palastes plädieren, mehren sich. Einige von ihnen hoffen, Zeit zu gewinnen, um den Schloßbau doch noch zu kippen und den Palast zu erhalten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Demonstranten skandieren werden: „Nein zu Hartz IV, ja zum Palast!“ Fast alle haben irgendwie recht, doch es ist eben bloß noch deprimierend, wie die Diskussion sich endlos im Kreise dreht. Alle Argumente sind längst ausgetauscht. Was für ein Armutszeugnis stellt dieses Land sich aus, wenn es sich nicht endlich klar darüber wird, was es mit seinem wichtigsten Platz anfängt! Die Botschaft lautet: Deutschland weiß weder, was es ist, noch, was es sein will. Der Schloßbezirk war eine steingewordene Staatsidee Zur Erinnerung: Der Schloßbezirk war einst die repräsentative Staatsmitte des Deutschen Reiches, während das eigentliche Machtzentrum mit Reichskanzleramt und den Ministerien von Preußen und Reich sich einige Kilometer westlich in der Wilhelmstraße befand. Auf das Schloß als Sitz des Staatsoberhauptes waren der Boulevard Unter den Linden mit Opernhaus, Universität und Bibliothek sowie der Dom und die Museuminsel bezogen. Es handelte sich um eine steingewordene Staatsidee und zugleich um eine prächtige Kulisse für offizielle Defilees. Allerdings blieb zu wenig Zeit, um einen eigenen Staatsstil auszuprägen. 1918 stürzte die Monarchie, und die Weimarer Republik wagte nicht, das Schloßareal politisch in Anspruch zu nehmen – ein deutliches Zeichen ihrer Unsicherheit und inneren Schwäche. 1976 weihte Erich Honecker den Palast der Republik ein, einen schachtelförmigen Bau, der mit abgedunkeltem Glas verkleidet war, das teuer aus dem Westen importiert wurde. Im Innern gab es Veranstaltungs- und Konferenzsäle, Restaurants, Cafés, Bars und riesige Foyers, die mit Tausenden Kugellampen (daher der Name „Erichs Lampenladen“), ausladenden Ledersesseln und Stahlrohrmöbeln ausgestattet waren. Im Grunde handelte es sich um eine überdimensionierte Stadthalle, um eine aufgeplusterte Kleinbürgerlichkeit, die nach Weltniveau strebte. DDR-Bürger konnten hier einen Kurzurlaub von der Ost-Tristesse nehmen und fühlten sich fast wie im Westen. Sie ahnten gar nicht, wie recht sie damit hatten. Das DDR-Emblem über dem Eingang erinnerte sie daran, wem sie diese Wohllebe verdankten. Das Haus drückte idealtypisch die Reduktion der sozialistischen Gesellschaftsutopie in der späten DDR sowie jenes Arrangement der Bevölkerung mit dem Regime aus, das heute fälschlicherweise „DDR-Identität“ genannt wird. Es schien klar, daß das wiedervereinigte Deutschland nach 1990 daran nicht anknüpfen konnte. Ein wiederaufgebautes Schloß sollte kraft seiner Masse die jetzt ratlos dastehenden Bauten in der Innenstadt zusammenbinden und zugleich ein Gefühl von Geschichtlichkeit vermitteln, welches das Land zusammenführt, ohne nostalgisch zu wirken. Der entsprechende Bundestagsbeschluß aber, als er 2003 endlich gefaßt wurde, konnte bereits als ein Anachronismus verstanden werden, denn längst war klar, daß aus der Wiedervereinigung eben doch kein Neues hervorgegangen war, sondern der deutsch-deutsche Kleinmut hatte sich in seiner triste Ehe noch potenziert. Die neue Staatsarchitektur will ungeschichtlich wirken Ja, das viele Geld, das ein Schloß kostet! Doch es sei daran erinnert, daß in Sichtweite des neuen Kanzleramts ein milliardenschwerer Hauptbahnhof hingeklotzt wird, von dem niemand sagen kann, wer dort überhaupt abfahren und ankommen soll. Unter dem Tiergarten wurde gegen alle Proteste ein gewaltiger Straßentunnel verlegt, von dem man munkelt, er sei die Rache der Bonner Beamten, die den Regierungsumzug absichtlich teuer machen wollten, um ihn zu verhindern. Die neue Staatsarchitektur im Spreebogen will möglichst schwerelos, ungeschichtlich, technokratisch wirken. Sie gefiel dem US-Schauspieler Tom Cruise so gut, daß er dort die Fortsetzung von „Mission Impossible“ drehen wollte. Und FDP-Chef Guido Westerwelle, unser Spaßvogel, der demnächst den Außenminister machen will, war von der Idee auch noch begeistert. Die kriegszerstörte Wilhelmstraße ist heute mit DDR-Plattenbauten zugepflastert. Auf ihrer Rückseite in den ehemaligen Ministergärten wird gerade das Holocaust-Denkmal fertiggestellt. Und in der alten deutschen Staatsmitte steht eine DDR-Ruine, die eine mediokre Westarchitektur nachäffte. Das ist Deutschland im Jahr 2004. Foto: Blick in den entkernten Palast der Republik, aufgenommen am 15. Juni 2004: „Erichs Lampenladen“