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Den Geist erstehen lassen

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Mit dem Beginn der Wiederherstellung der Dresdner Frauenkirche flammte eine architekturhistorische Diskussion wieder auf, inwieweit es zulässig sei, durch den Zweiten Weltkrieg und die Abrißwut der Nachkriegszeit zerstörte Gebäude zu rekonstruieren. Die Rekonstruktionsdebatte existierte zwar schon in der Vergangenheit, zum Beispiel bei der Wiederherstellung des Hildesheimer Marktplatzes oder der Frankfurter Römerberg-Ostzeile in den 1980er Jahren, sie bekam aber durch die Dimension der nun anvisierten Projekte neuen Schwung und könnte sich zu einer viel breiteren kritischen Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften der Bau-Moderne ausweiten. Gegenwärtig wird der Diskurs von drei national bedeutsamen Großbauwerken beherrscht, die nach parlamentarischen Beschlüssen wiedererstehen sollen, wo derzeit städtebauliche Wüste herrscht: den Stadtschlössern in Berlin und Potsdam sowie der Potsdamer Garnisonkirche. Für die Garnisonkirche sind Planung und Finanzierung am weitesten gediehen (JF 05/04). Sobald interne Streitigkeiten bei den Geldgebern beigelegt werden, könnte bereits mit dem Bau des Turms, dann des Kirchsaales begonnen werden. Die exakte Realisierung der beiden Schloßprojekte hingegen steht – auch durch politischen Unwillen – immer noch in den Sternen. Der Verdacht der versuchten Verschleppung kann dabei kaum weggewischt werden (JF 34/04). Abseits von den drei nationalen Großprojekten wird, von den Medien selten beachtet, an zahlreichen Baustellen geplant und bereits gearbeitet, um letzte Kriegsverluste an alten Architekturdenkmalen zu reparieren. Ein bereits sehr konkret werdendes Projekt ist dabei die teilweise Wiederherstellung des Braunschweiger Stadtschlosses, das als Kulturareal im Rahmen eines neuen großen Einkaufsareals fungieren wird (JF 30/04). Doch Differenzierung ist gefragt: Von der derzeitigen Rekonstruktionsdebatte zu trennen ist das Bemühen um die grundlegende Sanierung noch bestehender, weitgehend intakter Einzelbauwerke, die nichts mit dem Ausgleich kriegsbedingter Verluste zu tun haben. Bedingt durch jahrzehntelange Vernachlässigung befinden sich hauptsächlich in den östlichen Bundesländern noch zahlreiche Schlösser, Kirchen und bedeutende Liegenschaften in mittlerweile marodem Zustand, welche dringend denkmalschützerischer Pflege bedürfen. Kriegszerstörte Bauwerke gibt es nur noch wenige Exemplarisch hierfür stehen das zinnenbewehrte Schloß Broock im vorpommerschen Alt Tellin und das südlich des brandenburgischen Bad Freienwalde gelegene barocke Schloß Prötzel, ein ursprünglich von Andreas Schlüter entworfener Bau, dem Friedrich August Stüler 1859 sein heutiges Gesicht verliehen hat. Beide Schlösser verfallen fortschreitend und gelten als dringende Sanierungsfälle, sofern eben nur ausreichend öffentliche Mittel oder Investorengelder zur Verfügung ständen. Zudem sollte unterschieden werden zwischen der Wiederherstellung kriegszerstörter Bauwerke, deren Grundmauern aber noch stehen, und der Rekonstruktion bereits gänzlich abgerissener kriegszerstörter Bauten, von denen sich allenfalls noch Fotos, Baupläne und eingelagerte Fassadenreste finden lassen. Durch Kriegszerstörung entstandene Ruinen, die sechzig Jahre nach Kriegsende noch immer auf ihre Wiederherstellung warten, finden sich nur sehr wenige. Vieles wurde in der Nachkriegszeit abgerissen oder bis zu den 1990er Jahren längst wieder aufgebaut. Aber auch in den letzten Jahren wurden noch einige bedeutende Kriegsschäden wieder instand gesetzt, so beispielsweise die Marienkirche in Frankfurt/Oder, der größte backsteingotische Sakralbau Brandenburgs, die eine grundlegende Fassadensanierung, ein neues Dach und Fenster erhalten hat. Ein Förderverein St. Marienkirche sammelt Spenden für weitere Instandsetzungsvorhaben. Nur wenige erhaltene Kriegsruinen harren noch ihrer Wiederherstellung. Diese befinden sich fast ausschließlich als Einzelbauwerke auf dem Lande, was eine sinnvolle Nutzung erschwert und Investoren bislang nur wenig interessiert. Zu ihnen gehören die Deutschordenskommenden in Temmels und Aldenhoven-Siersdorf. Am Ortseingang des moselländischen Temmels findet sich der frühklassizistische Georgshof, der 1785/86 als Landgut der Trierer Deutschordenskommende von Peter Görgen errichtet worden war. Als geistliches Eigentum wurde das Schloß während der Säkularisation versteigert, hatte im 19./20. Jahrhundert mehrere Besitzer und fungierte trotz Kriegsbeschädigung noch nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtlingslager. Das Haupt- sowie die Nebengebäude befanden sich bis in die 1960er Jahre noch in halbwegs intaktem, wenngleich renovierungsbedürftigem Zustand. Doch 1969 wurde das Gebäude von den letzten Bewohnern verlassen, und seither setzte ein massiver Verfall ein. Erste öffentliche Mittel zur Bestandserhaltung wurden im Sommer 1996 bewilligt. Danach konnte das Hauptgebäude wieder mit einem Schutzdach gedeckt werden. Park und Gebäude werden von einer engagierten Privatperson gepflegt. Als zukünftiges Nutzungskonzept ist ein Seniorenheim im Gespräch, Denkmalschutz und der Umfang der Baumaßnahmen lassen das Projekt allerdings aufwendig und teuer erscheinen. Exakt dieselben Probleme liegen im nordrhein-westfälischen Aldenhoven-Siersdorf vor. Die dortige Niederlassung des Deutschen Ritterordens geht auf das Mittelalter zurück. Graf Wilhelm III. von Jülich schenkte dem Orden die Kirche von Siersdorf mit allem Zubehör im Jahre 1219. Die Fertigstellung der ersten Kommende wird auf das Jahr 1267 datiert. Die jetzige Kommende-Bau in Siersdorf erstand 1578 im Renaissancestil. „Optimale Lage, aber schwieriges Baugrundstück“, so wird die Ausgangssituation bei Planungsbeginn für den Wiederaufbau der Kommende Siersdorf von den Verantwortlichen umrissen. Ein im Dezember 2001 gegründeter Förderverein möchte die Kommende als Seniorenwohnanlage nutzen. Hierbei sollen vor allem Bewohner aus der Region aufgenommen werden, damit der Kontakt zu alten Nachbarn, Freunden und Verwandten gewahrt bleibt. Eine erste Ortsbegehung fand im März 2001 auf Initiative eines örtlichen Pfarrers statt. Ein Sanierungskonzept und Vorentwürfe zur Integration einer Einrichtung für die Altenpflege wurden erarbeitet und mit dem Rheinischen Amt für Denkmalpflege abgestimmt. Nach Einreichung einer Machbarkeitsstudie bei der Bezirksregierung in Köln und der Erteilung des Zuwendungsbescheids zur Förderung des Projektes wurde im April 2002 die Bedeutung des Vorhabens anerkannt und bestätigt. Dennoch läßt die Realisierung noch auf sich warten. Bei Schloß und Kloster Dargun in Mecklenburg-Vorpommern sind langsame, aber stetige Sanierungsschritte erkennbar. 1172 von Zisterziensermönchen erbaut, war das Kloster Dargun ein bedeutender kultureller und wirtschaftlicher Träger in der Entwicklung der Region. Das Kloster wurde 1552 aufgelöst und ging in herzoglichen Besitz über. Die Herzöge von Mecklenburg-Güstrow bauten es in ein barockes Schloß mit Lustgarten um. Ende des Zweiten Weltkrieges wurde es durch Brandstiftung zerstört, seit 1991 erfolgt die sukzessive Sanierung. Die Stadtinformation, die Bibliothek und ein Ausstellungsraum fanden bereits im wiedererrichteten Westflügel Platz. Der Innenhof der großräumigen Anlage wird für Kulturveranstaltungen genutzt. Eine Vereinigung von engagierten Bürgern hat sich der Sanierung eines Schloßprojekts in Sachsen-Anhalt angenommen. Der im März 2003 gegründete Förderverein Schloß Zerbst setzt sich für die originalgetreue Wiederherstellung des Äußeren der bedeutenden anhaltinischen Barockresidenz ein. Allerdings umfaßt die Maßnahme nur den in seinen Grundmauern und einigen Geschossen erhaltenen Ostflügel des Baues. An eine Rekonstruktion der verschwundenen anderen Gebäudeflügel kann aus Finanzgründen nicht gedacht werden. Fotoaufnahmen der letzten 15 Jahre dokumentieren, daß der Zerfall an erhaltener Bausubstanz, an Stuck und Skulpturen massiv voranschreitet. Gerade angesichts leerer kommunaler Kassen entschlossen sich deshalb zahlreiche Zerbster Bürger, nun das Schicksal des Schlosses selber in die Hand zu nehmen. Erste Aufräumaktionen, Sicherungsmaßnahmen und öffentliche Führungen wurden bereits durchgeführt. Eine Rekonstruktion von Schloß Bärwalde in Brandenburg hingegen dürfte sich aufgrund der kümmerlichen Steinhaufen, die Krieg und Zerstörungswut der Nachkriegszeit hinterlassen haben, derzeit ausschließen. Erhalten sind hier nur noch völlig verkommene Teile eines gotischen Turmes und ein Kellergewölbe. Allerdings harren auch diese verlassenen Mauerreste ihrer phantasievollen Einbindung in einen dort eventuell zu errichtenden Neubau. In der Kasseler Innenstadt verfallen Großbauten Im innerstädtischen Bereich scheint Dresden nach der Wiederherstellung von Frauenkirche, Taschenberg- und Kosel-Palais seine Kriegsverluste halbwegs ausgeglichen zu haben. Als letzte bedeutende Kriegsruine des Altstadt-Bereichs wird nun, will man den Investorenmeldungen glauben, das 1728/92 von Johann Christoph Knöffel erbaute Kurländer Palais wiederhergestellt. Nach Hochwasserschäden, Streit um das Kellergeschoß und Kündigung von Mietvereinbarungen kam der Rokoko-Bau, von dem nur noch die Grundmauern stehen, ins Stocken. Doch nach einer Wiederherstellung des Palais dürfte der Streit um die Neugestaltung des Neumarktareals um die Frauenkirche erst in seine heiße Phase treten. Die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden favorisiert eine weitgehende Rekonstruktion des gesamten barocken Stadtareals. Vertreter der Stadt hingegen möchten die neuen Straßenzüge vor allem mit modernen Gebäuden füllen, einige historische „Leitbauten“ werden als Zugeständnis in Aussicht gestellt. In dieser Diskussion liegt Zündstoff. Von solchem Elan ist Kassel weit entfernt. Eine ganze Ansammlung immer noch vor sich hinrottender Kriegsruinen im direkten Innenstadt-Bereich muß sich ausgerechnet die „documenta“-Stadt Kassel vorwerfen lassen. Obwohl die im Weltkrieg schwer getroffene nordhessische Stadt nur noch über wenige Baudenkmale ihrer großen Geschichte verfügt, leistet sie es sich bislang immer noch, einige historische Großbauten der Stadtmitte in ruinösem Zustand dahinvegetieren zu lassen. Genannt seien Garnisonkirche, Karlshospital und Zeughaus. Die dachlose und halb abgeräumte Garnisonkirche, ein schlichter Barockbau nahe des zentralen Königsplatzes, dient vor allem als Restaurantgarten. Das Karlshospital von 1720/21 erhielt vor einigen Jahren immerhin ein Notdach. Dennoch rottet der Bruchsteinbau in attraktiver Flußlage ungenutzt vor sich hin und harrt seiner Sanierung im Rahmen einer städtebaulichen Neugestaltung des ganzen Altmarktbereichs, der heute nur eine überdimensionierte Verkehrskreuzung bildet. Für das Zeughaus, einen langgestreckten Renaissancebau von 1581, existiert immerhin mittlerweile ein Ausbauplan des Leiters des städtischen Hochbauamts. Allerdings geht auch dieser Plan nur davon aus, die vorhandene Ruine zu konservieren, „ohne sie durch Ergänzungen zu verfälschen“. Hessens Kunstminister Udo Corts (CDU) sicherte Mittel zu, damit die Sanierungsarbeiten in diesem Jahr abgeschlossen werden können. Um die Ruine „als solche erlebbar“ zu machen, soll ein zurückhaltender, kontrastierender Cafeteria-Neubau in sie hineingesetzt werden. Diese Gedanken gehen auf Überlegungen des Jahres 1970 zurück. Aber bereits 1972 wurde das Gebäude bis auf ein Drittel abgerissen, um einem häßlichen Schulneubau Platz zu machen. Diesen Siebziger-Jahre-Klotz führt man nun als Argument gegen einen grundsätzlichen Wiederaufbau an. Schließlich sei dadurch „das ursprüngliche Gebäude verloren“ und könne „nicht wiedergewonnen werden“: „Man kann ein Gebäude nicht zu einem Drittel ‚wiederaufbauen'“, wird von den Stadtplanern verlautbart. Derweil betreut ein Verein Zeughaus Kassel die Ruine. Über den noch in Kassel gepflegten Purismus ist die Diskussion heute längst hinausgegangen. Rekonstruktion wird heute vielmehr als die Wiederherstellung des Geistes eines Gebäudes interpretiert. Die Rekonstruktion der Schinkelschen Bauakademie in Berlin zum Beispiel erfreut sich der Unterstützung einflußreicher Politiker. Am 12. August wurde nun eine Schauattrappe des Gebäudes errichtet, die zwei Jahre lang für die Finanzierung werben soll. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gab anläßlich des Ereignisses seine Hoffnung zum Ausdruck, daß mit dem Bau in drei Jahren begonnen werden könne. In der alten Hansestadt Wesel, die 1945 dem Erdboden gleichgemacht wurde (Zerstörungsgrad 97 Prozent), geht es bei der Rekonstruktion des alten Rathaus um ein wichtiges Moment der Wiederaneignung von Geschichte, um Identität. Das flandrisch beeinflußte Rathaus von 1455/56 am Marktplatz, eines der schönsten im Niederrhein-Gebiet, soll wiedererstehen. Das Anliegen der bereits 1986 gegründeten Bürgerinitiative Historisches Rathaus wurde im Februar 2003 durch einen Ratsbeschluß der Stadt Wesel, die über fast keine historischen Bauten mehr verfügt, mit 89 Prozent Zustimmung anerkannt. Die Baukosten von drei Millionen Euro versucht man durch den Verkauf von Stiftersteinen hereinzuholen. Im Juli 2004 hatte die Bürgerinitiative bereits 600.000 Euro an Spendengeldern erhalten, etwa die Hälfte ihres Anteils an den Baukosten. Im Juni 2004 hat sich der Rat der Stadt zudem für eine Beteiligung der Kommune in Höhe von 15 Prozent der ausgewiesenen Baukosten entschieden. Damit ist auch eine Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen in Höhe von 35 Prozent zugesagt. Ab 2007 gedenkt man mit dem Außenbau zu beginnen. Rekonstruktionslust könnte noch weitergehen Im sachsen-anhaltinischen Halberstadt hat man schon fertiggestellt, was Wesel noch plant: Das alte Rathaus, 1945 durch britische Bomber sinnlos zerstört, wurde an alter Stelle städtebaulich wiederhergestellt. Und erst vor kurzem erhielt das Rathaus seine prachtvolle alte Renaissance-Ratslaube zurück, die bis zur Auslöschung des Stadtzentrums der ganze Stolz der Halberstadter Bürger gewesen war. Aus dem Schutt hatte man Einzelstücke des reich verzierten Loggia-Vorbaus von 1663 geborgen und 55 Jahre lang aufbewahrt. Damit hatte man eine Vorlage für die Nachbildung des gesamten Bauwerks. Die Ratslaube ist vor allem ein Zeichen für Bürgersinn. Von 655.000 Euro Gesamtkosten wurden 414.000 Euro durch Spenden aufgebracht. Es gab anfänglich große Widerstände gegen die Bürgeraktion. Am Ende beteiligten sich aber etliche ehemalige Gegner doch noch finanziell am Aufbau der Ratslaube – und nahmen dafür bei der Einweihung auf den ersten Stuhlreihen Platz. Die Rekonstruktionslust könnte noch eine Weile weitergehen. Im Gespräch ist derzeit eine mögliche Wiederherstellung des alten Rathauses in Halle. Auch eine Rekonstruktion des gotischen Rathauses von Dortmund, eines der ältesten und bedeutendsten Deutschlands, dessen Grundmauern 1954 grundlos abgerissen wurden, könnte bald Interesse finden. Fotos: Vorderansicht Schloß Prötzel (l.), Portal und Innenraum der Marienkirche in Frankfurt/Oder: Dringende Sanierungsfälle / Deutschordenskommende Siersdorf: Optimale Lage, schwieriger Bau

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