Jörg Siegmund, ein 1973 in Erfurt geborener Politikwissenschaftler, behandelte in seiner Magisterarbeit, die er vor zwei Jahren an der Universität München einreichte, die Situation der Opferverbände der DDR-Diktatur. Nun liegt diese Studie in einer deutlich erweiterten Form für eine breitere Öffentlichkeit vor. Als wissenschaftliche Arbeit eines Außenstehenden ist die Studie auch für die Verbände selbst interessant, zumal Siegmund diesen zwar in keiner Weise unkritisch, jedoch zumindest wohlwollend gegenübersteht. Neben dem groben Überblick über ihre aktuelle Anzahl, ihre Mitgliederstrukturen, ihre Arbeit und ihr äußeres Erscheinungsbild, bietet Siegmund zugleich durch seine Analyse auch die Möglichkeit, „das in den Alternativen liegende Potential für ihre Arbeit nutzbar zu machen“. Nicht unerwartet rückt der Autor dabei zunächst die Frage in den Mittelpunkt, warum sich die politisch und wirtschaftlich Geschädigten nicht in einem einheitlichen Großverband, sondern in einer für Außenstehende so verwirrenden Vielfalt von kleineren Vereinigungen zur Vertretung ihrer Interessen zusammengefunden haben. Siegmund sieht die Ursachen dieser Entwicklung korrekterweise in erster Linie in der sehr heterogenen Entstehungshistorie begründet. Während der eine Teil der Organisationen, darunter der heute noch mitgliederstärkste westdeutsche Opferverband, die „Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V.“ (VOS), bereits Anfang der fünfziger Jahre von ehemaligen Häftlingen und Verfolgten aus der SBZ in West-Berlin gegründet wurde, entstand der andere Teil im unmittelbaren Gefüge der politischen Umbrüche in der DDR von 1989/90. Das Bestreben, möglichst unverzüglich direkt auf dem Territorium des erlittenen Unrechtes eigene Organisationen der dort verbliebenen Opfer zu gründen – so beispielsweise den „Bund der stalinistisch Verfolgten e.V.“ (BSV) -, war überaus verständlich. Dies geschah zu diesem Zeitpunkt nicht etwa aufgrund einer bewußten Abgrenzung zu den Verbänden in Westdeutschland. Vielmehr erschien in dieser Form die Sammlung von Mitgliedern und die damit verknüpfte aktive Präsenz erheblich rascher möglich; um mit dem erforderlichen Nachdruck die grundsätzlichen Hauptanliegen aller DDR-Verfolgten – Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer, Bestrafung der Täter, gesellschaftliche Aufarbeitung des Unrechts – durchsetzen zu können. In den Folgejahren zeigten sich teilweise erhebliche Differenzen in Einzelfragen, insbesondere bei der Wahrnehmung und Bewertung der aktuellen politischen und sozialen Rahmenbedingungen. Während für die jungen Verbände in den neuen Bundesländern die soziale Komponente, das heißt die Bemühungen um einen angemessenen finanziellen Ausgleich der vielfach nur über Kleinstrenten verfügenden Mitglieder ein Kernanliegen war und immer noch ist, war diese Aufgabe für die Alt-Verbände von geringerer Bedeutung. Große Übereinstimmung gab es dagegen in der Forderung einer sofortigen Anklage und Bestrafung der ehemaligen Peiniger sowie der individuellen Rehabilitierung der Opfer. Obwohl die gemeinsamen Erlebnisse die Mehrzahl der Mitglieder weiterhin eng miteinander verbanden, was bis heute in der Gestalt von zahlreichen Doppelmitgliedschaften zum Ausdruck kommt, gestaltete sich durch einige Mißverständnisse und das Aufbrechen alter persönlicher Differenzen eine geplante Verschmelzung seit Mitte der neunziger Jahre zunehmend schwieriger. Ähnliche Probleme waren bald auch im Rahmen der im Oktober 1991 als Dachorganisation gegründeten „Union der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft“ (UOKG) zu beobachten, die das Ziel hatte, die Gesprächsbasis zwischen den Einzelverbänden zu fördern und als gemeinsame Plattform gegenüber der Öffentlichkeit zu fungieren. Dadurch, daß einzelne Verbände aus verschiedenen Anlässen die UOKG verließen, andere ihr wiederum überhaupt nicht beitraten, litt nicht nur die Schlagkräftigkeit der UOKG selbst, sondern auch das Engagement der angeschlossenen Einzelverbände. Ein weiteres Problem, daß die Arbeit der DDR-Opferverbände erschwert, liegt in ihrer Altersstruktur. Die überwiegende Zahl der Mitglieder befindet sich bereits im Rentenalter. Durch die bisher mangelnde Integrationskraft insbesondere für die Verfolgten der siebziger und achtziger Jahre sowie ihrer generell zu geringen Attraktivität für Jüngere, verzichten die Verbände leichtfertig auf potentielle Unterstützer. Daher sei es nach Einschätzung Siegmunds unverzichtbar, auch die Stellung zu den DDR-Bürgerrechtlern nochmals zu prüfen und die teilweise grotesken Abgrenzungsrituale zu hinterfragen. Die durch die uneinheitliche Linie verursachten dürftigen Kontakte zu politischen Repräsentanten werden auf der anderen Seite durch die zumeist oberflächliche Auseinandersetzung heutiger Entscheidungsträger mit der DDR-Diktatur nicht unwesentlich erschwert. Daher sei es dringend notwendig, künftig noch deutlicher darauf aufmerksam zu machen, daß es bei der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur nicht nur um die Durchsetzung von Entschädigungen oder gar Rache an früheren Peinigern geht, sondern daß diese einen wichtigen Beitrag für die Erhaltung der Demokratie und des anti-totalitaristischen Konsenses der Gesellschaft liefere. Bedeutsamer ist Siegmunds Querverweis auf die NS-Opferverbände, die in ihrer Aufbauphase in den fünfziger Jahren ebenfalls einen erheblichen Bedeutungsverlust befürchten mußten. Obwohl es sich bei der Verfolgung des NS-Unrechtes im Gegensatz zum SED-Unrecht um „Staatshaftungsrecht“ handelte, was die Möglichkeiten der Interessensverbände deutlich erweiterte, könne deren Arbeit zumindest dazu ermutigen, die Planungen auf einen längeren Zeitraum auszudehnen. Für die dazu notwendige kontinuierliche Interessenpolitik sei eine Reform derzeitiger Strukturen dringend notwendig. Jörg Siegmund: Opfer ohne Lobby? – Ziele, Strukturen und Arbeitsweise der Verbände der Opfer des DDR-Unrechts. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2002, gebunden, 192 Seiten, 25 Euro