Die von Frank Benseler, Bettina Blanck, Reinhard Keil-Slawik und Werner Loh herausgegebene und im 14. Jahrgang viermal jährlich erscheinende Zeitschrift Erwägen – Wissen – Ethik (EWE), vormals unter dem Titel „Ethik und Sozialwissenschaften (EuS) – Streitforum für Erwägungskultur“ bekannt, gehört zu jenen selten gewordenen Publikationen, die noch eine freie Diskussion pflegen, die diesen Namen auch wirklich verdient. So enthält jedes der ca. 230 Seiten starken Hefte im DIN-A-4-Format mehrere Diskussionseinheiten, die aus einem Hauptartikel, verschiedenen kürzeren Kritiken an diesem und einer Replik des Autors des Hauptaufsatzes bestehen. In der aktuellen Ausgabe finden sich drei Hauptartikel: „Orare est laborare – Das religiöse Vermächtnis der urproduktiven Gesellschaft“ von Thomas Bargatzky; „The New Global History: Toward a Narrative for Pangaea Two“ von Wolf Schäfer und „Interkulturelle Kompetenz – Grundlagen, Probleme und Konzepte“ von Alexander Thomas. Im ersten Haupttext beschreibt Bargatzky das Mythische als „Nährboden der Religion“. In der Nichtbeachtung des Mythischen wurzelten zwei typische moderne Vorurteile: „Primitive“ Kulturen seien religionslos, und bei uns nähere sich die „Zeit der Religion ihrem Ende“. Im Gegenzug solle die Theorie der urproduktiven Gesellschaft die Rolle der Religion in vormodernen Gesellschaften plausibel machen und zugleich darlegen, daß die in der langen Geschichte der urproduktiven Gesellschaft erworbene religiöse Verhaltenskultur auch außerhalb ihres eigentlichen gesellschaftstypologischen Umfeldes bis heute fortbesteht. Diese Thesen Bargatzkys riefen natürlich geharnischte Kritik hervor. Eine polemische Analyse bietet beispielsweise Hubertus Mynarek, wenn er der „transzendenten Glaubensreligion Christentum als vernünftige Religion mit einem vernünftigen Gottesbild“ die „emanationspantheistische Gotteslehre“ des Neuplatonikers Plotin gegenüberstellt. Es hat gewiß nichts mit Kritikimmunisierung zu tun, in dieser Argumentation keine Beweise, sondern eine bloß subjektive Meinung zu erkennen. Durchaus ernster zu nehmen ist Kurt Hübners Einwurf, Bargatzkys These, „der Mythos sei möglich ohne Religion, Religion aber sei nicht möglich ohne Mythos“, führe zur Verwirrung. Denn bei aller scharfsinningen Kritik an älteren Denkbemühungen: Ohne den Sprung in den Offenbarungsglauben, dem allein eine transzendente Realität zuzuschreiben ist, hat auch der Mythos keine eschatologische Perspektive. Wenn wir heute ein Zugleich von Säkularisierung und Spiritualisierung vorfinden, oder die Diskussionen um die Theodizee sich in den letzten Jahren überraschend beleben, könnte dies ja möglicherweise auch bedeuten, daß Gottes Herrschaft als Überwindung der Übel ein langwieriger Prozeß ist. Immerhin bleibt aber das Geheimnis des Bösen ebenso wie die Sehnsucht nach Aufklärung des Dunkels. Von den übrigen Diskussionsbeiträgen sind besonders erwähnenswert noch Johannes Lohs Text „Mythos und Religion“ sowie Jürgen Mohns „Die Geburt der Religion aus dem Nährboden des Mythos? Zur Kritik theoretischer Mythos- und Religionskonzepte“, in dem der Autor der Frage nachgeht, wie man wissenschaftlich über Religion und Mythos reden kann. Brockhaus/Commission, Postfach 70803 Kornwestheim. Einzelheft: 22 Euro, Jahresabo: 72 Euro