Die Deutsche Presseagentur (dpa) wollte es genau wissen. Sie gab beim Meinungsforschungsinstitut "polis" eine Umfrage in Auftrag, wie sehr denn die Menschen in diesem unserem Lande wirklich am Privatleben von Prominenten, sogenannten "Promis", interessiert seien, ob es sich also seriöserweise lohne, eine Extra-Abteilung über "Klatsch und Tratsch" einzurichten. Das Ergebnis überraschte viele. Allenfalls zwanzig Prozent der Befragten, bei den Männern und Älteren weniger, bei den Frauen und Jüngeren etwas mehr, räumten ein, daß sie sich gelegentlich um das Innenleben der Promis kümmerten. Achtzig Prozent sagten: Kein Interese!
Nun darf man beileibe nicht alles zum Nennwert nehmen, was Meinungsumfragen zutage fördern. Selbst der legendäre Herr Gallup, der als Erfinder der Umfragen gilt, bezifferte seinerzeit die Trefferquote auf höchstens fünfundsechzig Prozent. Aber auffällig bleibt die "polis"-Erhebung allemal. Man denke: Die Bild-Zeitung und ihre Konkurrenten, die zu mindestens achtzig Prozent nichts als Promi-Klatsch transportieren, dazu das Heer der einschlägigen Periodika, Bunte, People, Gala undundund – sie sprechen höchstens jeden Fünften unter den Zeitungs- und Magazin-Konsumenten an, alle übrigen läßt die Riesensuppe aus privaten Zerwürfnissen und Wiederversöhnungen, Hochzeiten ud Scheidungen, Stürzen und Fürzen, angeblich vollkommen kalt. Das hätte kaum jemand gedacht.
Gut möglich, daß das journalistische Überangebot das allgemeine Interesse nach unten drückt. Denn normalerweise ist die Nachfrage nach Anekdoten und Anekdötchen, Bildern und Bildchen aus der Welt der "oberen Zenhntausend" groß. Aber je mehr öffentlich geredet wird, um so weniger Wert hat nun mal das Gerede. Es besteht da ein Verhältnis der kommunizierenden Röhren: Der Aufmerksamkeitspegel sinkt, wenn der Geräuschpegel steigt.
Törichte Diktaturen wie die der SED in der DDR hatten faktisch eine Nachrichtensperre über Mitteilungen aus dem Privatleben der Funktionäre und ihrer Kamarilla verhängt, mit der Folge, daß jedes diesbezügliche Hörensagen ungeheuer ernst genommen wurde und in Windeseile die inoffizielle Runde machte. Das freischwebende Gerücht ersetzte die gedruckte oder gesendete Klatschspalte, und es blähte sich, unkontrolliert und unkontrollierbar, oft zu furchterregenden Dimensionen auf, lieferte ein Horrorbild von den "Orgien der Herrschenden", das durchaus zur Wende und zum Umsturz der Verhältnisse beigetragen haben mag.
Eine gut entwickelte Klatschpresse liegt eindeutig im Interesse der Herrschenden. Sie ersetzt das, was früher, in höfischen Zeiten, das fürstliche "Levée", das hochoffizielle und, für damalige Verhältnisse, vollkommen öffentliche Aufstehen und Zubettgehen, Tafeln und Pinkeln, Beischlafen und Gebären der Mächtigen war: eine Angelegenheit, die das ganze Volk interessierte und auch zu interessieren hatte. Die spätere Entdeckung der Intimität war eindeutig eine Errungenschaft des bürgerlichen, liberalen Zeitalters, und sie löste sich im modernen Medienzeitalter wieder auf, weil sich auch jeder Begriff von Bürgerlichkeit auflöste und im Zeichen des Massengeschmacks feudale Strukturen zurückkehrten.
Nicht das durch Wahlen errungene Volksmandat verschafft Zugang zur wirklichen Prominenz (zu schweigen vom Verdienst um die Allgemeinheit), sondern das Erscheinen und Sichhalten in den Spalten der Klatschpresse. Deshalb ja auch der ungeheure Drang aller möglichen "Stars" und Sternchen, irgendwie "in die Medien" zu kommen und prominent zu werden, endlich "dazuzugehören". Deshalb der boo-mende Berufszweig der "Medienberater", die gegen hohes Entgelt dafür sorgen, daß ihre Klienten in die Medien kommen, einerlei wie. Das Medium ist nicht nur die Botschaft, sondern auch das Leben, das die Gesellschaft verleiht, ohne sonderlich auf Verdienst oder Würdigkeit Rücksicht zu nehmen.
Bei Lichte betrachtet steht jedem Drang in die Medien nur ein ganz schwacher Gegendrang zur Seite, nämlich das gelegentliche öffentliche Klagen anerkannter Promis über die "Verletzung ihrer Privatsphäre". Diese Kläger sind schon so prominent, daß sie mit ihrer Prominenz lässig spielen dürfen, was dann zum Höchsten der Gefühle führt. Sie können darauf Wert legen, ob eine Mitteilung über sie wahr oder falsch, präzise oder frech übertrieben ist – ein Luxus, der für ein gerade in den Medien ein bißchen Fuß fassendes Anfängersternchen völlig undenkbar wäre.
Ist aber jetzt das für die Promis aller Klassen so ungünstige Ergebnis der "polis"-Umfrage eine Art Silberstreif am Horizont? Läßt sich von ihm ablesen, daß man des buntschillernden und über weite Strecken läppischen Promi-Betriebs allmählich überdrüssig wird und wieder mehr nach echtem Verdienst Ausschau hält? Ein ähnlicher Überdruß herrschte ja schon einmal, am Anfang des bürgerlichen Zeitalters, als sämtliche anspruchsvollen Geister von höfischem Herumgeschwänzel und Sichwichtigmachen die Nase voll und übervoll hatten und nach belangvolleren Spielen Ausschau hielten. Stehen wir am Beginn einer neuen Bürgerlichkeit?
Nun, vor Optimismus sei entschieden gewarnt. Das Maß des öffentlichen Exhibitionismus scheint noch lange nicht voll, die Gleichung "Einzig wichtig = Das, was in der Klatschpresse steht" noch lange nicht umgekippt. Dennoch, der schleichende, anhaltende Rückgang der Auflagenzahlen bei den großen Klatschorganen, ihr immer irrer werdender Konkurrenzkampf um den kleiner werdenden Kuchen läßt hoffen.
Die Zahl derer, die wirkliche Elite und somit seriöse Prominenz verkörpern und die trotzdem und ausdrücklich kein "Promi" im modernen Sinne sein wollen, wächst langsam. Und es wächst offenbar die Zahl derer, die das bei Umfragen honorieren.