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Eine substantielle Transformation des gesamten Mittleren Ostens ist das erklärte Ziel der jetzigen US-Administration. Dabei stellt sich der eben beendete Irak-Feldzug nur als ein Mosaikstein dar. So etwas ist – in der historischen Rückschau – keine Singularität: Der vom damaligen Völkerbund sanktionierte und von England und Frankreich als Mandatsmächten vollstreckte Sykes-Picot-Plan (1920) stellte ein ähnlich großangelegtes Experiment einer Neuordnung dieser Region dar. Im Zuge dieses Plans erfolgte – in Abwicklung der osmanischen Konkursmasse als Folge des Ersten Weltkrieges – ein territorialer Neuzuschnitt mit kolonialer Zuweisung Syriens und des Libanon an Frankreich sowie Palästinas, Jordaniens und des Irak an England als Mandatsmächte. Daß zur Zeit Publikationen über den Irak-Konflikt en vogue sind, kann mitnichten verwundern. So hat auch der vorliegende Band mit dem Titel „Insch‘ Allah“ (So Allah will) durchaus hohen Erklärungswert. Unternimmt doch der Autor – es ist der ehemalige Arabien-Korrespondent der ARD, Gerhard Konzelmann („Dschihad und die Wurzeln eines Weltkonflikts“ , „Allahs Schwert“), der seit über 30 Jahren die Entwicklungen in der islamischen Welt beobachtet – den breit angelegten Versuch, ebenso akribisch wie unterhaltsam der Vorgeschichte der heutigen Konfliktlage nachzuspüren. In tagebuchähnlichen Skizzierungen spannt er einen Bogen von der saudischen „Ikhwan“-Bruderschaft als Vorläufer der neuzeitlich-fundamentalistischenTerror-Szene über vielfältige innerislamische Konflikte sowie eine an Putschen und Attentaten reiche nahöstliche Geschichte, über die koloniale Epoche mit dem heraufziehenden Erdöl-Zeitalter, die Versuche der Bildung einer „Vereinigten Arabischen Republik (etwa zwischen Ägypten und Syrien), die nahöstlichen Kriege und das Palästinenserproblem, hin zum ersten verlustreichen Golfkrieg zwischen Iran und Irak bis zum aktuellen Geschehen. Besonders aufschlußreich ist die Rolle Saddam Husseins, der es brutal verstanden hat, seine potentiellen Rivalen um die Macht sukzessive auszuschalten. Er diente als Bollwerk gegen den drohenden Export der islamisch-schiitischen Revolution des Iran von Ayatollah Khomeini – dies sowohl im Interesse Saudi-Arabiens als auch der USA, die den Irak folglich massiv aufrüsteten. Bezeichnend ist etwa der Besuch des heutigen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld – damals als Präsident Reagans Sonderbeauftragter – in Bagdad. Infolgedessen wurde der Irak – glaubt man der seinerzeitigen US-Darlegung – nach den USA und der Sowjetunion zur weltweit drittstärksten Armee. Entgegen amerikanischen Erwartungen wollte Hussein nach dem Sieg über den Iran nicht wieder abrüsten. Eingestreut in die chronologisch geschilderte Abfolge sind immer wieder kurze biographische Exkurse über die wichtigsten Akteurewie Osama bin Laden oder Saddam Hussein. Für den Leser erweist sich dies als ebenso informativ wie auflockernd. Daß neben den Zentren der beiden islamischen Hauptströmungen – namentlich Iran für die Schiiten und Saudi-Arabien für die wahhabitische Spielart des Islam – die Geschichte Iraks einen zentralen Stellenwert besitzt, liegt auf der Hand. So bemühte sich zum Beispiel der Irak, in der Nachfolge Nassers zum Mittelpunkt eines vereinigten, groß-arabischen Einheitsstaates zu werden, und fühlte sich dabei permanent von Israel und dem damaligen Persien bedroht. Im ideologischen Zentrum stand dabei nicht etwa eine islamisch-fundamentalistische Ausrichtung, sondern immer die nationalistisch und panarabisch intendierte Staatsdoktrin (Saddams Leitbild war der alttestamentarisch-babylonische König Nebukadnezar) mit dem erklärten Ziel einer „arabischen Wiedergeburt“. Am Ende dieses Prozesses stand die Metamorphose Saddam Husseins vom Hätschelkind des Westens zum Hauptfeind. Mit Blick auf die Zukunft hebt Konzelmann die Bedeutung von Präventivkriegen als maßgeblicher Doktrin des 21. Jahrhunderts hervor. Dasselbe Fazit hat übrigens auch jüngst Robert Kagan in seiner Analyse „Macht und Ohnmacht“ gezogen. Was bleibt, ist die grundlegende Frage: Rechtfertigt der im Sinne von Thomas Hobbes chaotische Weltzustand die neue US-Weltordnungsdoktrin, oder wird die Welt erst fragil durch die völkerrechtlich fragwürdigen Unterfangen des Hegemons USA mit der finalen Konsequenz ständig drohender Präventivschläge – gewissermaßen ein permanenter „Ausnahmezustand“ ganz im Sinne Carl Schmitts ( wie kürzlich der italienische Philosoph Giorgio Agamben im FAZ-Feuilleton ebenso skeptisch wie pointiert diagnostizierte)? Entsprechend sieht Konzelmann besonders in Saudi-Arabien eines der nächsten Angriffsziele der USA – nicht nur wegen der Ölreserven, sondern zuvörderst wegen der unterstellten, über Stiftungen abgewickelten finanziellen Unterstützung islamischer Fundamentalisten. Neben der gelungenen chronologischen Sezierung historischer Entwicklungen und Hintergrundfakten hätte man sich – zur Erhellung der aktuellen Konfliktsituation mit ihrer potentiellen Heraufbeschwörung eines westlich-islamischen clash of civilizations – auch eine Herausarbeitung der kulturellen Dimension des Konfliktes gewünscht. Hier wäre etwa der Umstand von Interesse, daß teils fragwürdige westliche und als fremdartig erlebte Werte per Hollywood-Darbietungen in den letzten Winkel auch der islamischen Welt „gepreßt“ werden und so kulturelle Identitäten zu unterminieren drohen. Dazu zählen provokant-freizügige sexuelle Darbietungen ebenso wie ein aggressiv zelebrierter, hypertropher Feminismus. Dieses Manko mag einem zeitgeistig-taktischen Kalkül geschuldet sein – was dem ansonsten flüssig geschriebenen und überaus fakten- und kenntnisreichen Buch aber wenig Abbruch tut. Saudi-Arabiens König Fahd trifft mit Entourage in Marbella ein: Das Reich der feudalen Autokraten gerät wegen seiner finanziellen Unterstützung islamistischer Fundamentalisten ins Visier der USA Gerhard Konzelmann: Insch’Allah. Der Kampf um Glaube und Öl. Herbig Verlag, München 2003, 472 Seiten, geb., 24,90 Euro

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