Der Schriftsteller und Musiker Christian Friedrich Daniel Schubart überliefert die Anekdote, wie er, in einem Kahn bei Mannheim über den Rhein fahrend und in Klopstocks Versepos „Messias“ lesend, vor Begeisterung so stürmisch auffuhr, daß das Buch mitsamt dem als Unterlage dienenden Brett ins Wasser fiel. „Wie angedonnert stand ich da und sah bleich und starräugig meiner lieben Messiade nach, die wie eine geschossene Ente auf dem Wasser fluderte und untersank.“ War solche Ergriffenheit von dem Hauptwerk des am 2. Juli 1724 in Quedlinburg geborenen Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock, der bereits in seiner Schulzeit den Plan zu diesem Epos gefaßt hat, auch unter den Zeitgenossen keineswegs selbstverständlich, so ist unserer heutigen Gesellschaft der ungeheure Anspruch eines Mannes, der in seiner Dichtung antike und christliche Bildungswelt verbinden wollte, völlig fremdartig geworden und mit den Traditionen, aus denen er noch selbstverständlich schöpfen konnte, in weite Ferne entrückt. Schon 1748 eroberte sich der Vierundzwanzigjährige, nachdem er einige Semester in Jena und Leipzig Theologie studiert hatte, einen Platz in der literarischen Öffentlichkeit, als er die ersten drei Gesänge seines „Messias“ in den „Neuen Beiträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes“, deren Herausgeberkreis in Opposition zum damaligen Literaturpapst Johann Christoph Gottsched stand, veröffentlichte. Die Publikation trug dem Dichter, der sich, nachdem er sein Studium abgebrochen hatte, als Hauslehrer durchschlug, eine Pension des dänischen Königs Friedrichs V. ein, die zunächst für die Vollendung des Werkes, später lebenslänglich gewährt wurde. 1751 siedelte er nach Kopenhagen über und lernte, bei einem Zwischenstopp in Hamburg, seine spätere Frau Meta Moller kennen, die jedoch schon 1758 verstarb. Klopstock setzte ihr ein Denkmal, indem er im folgenden Jahr das Trauerspiel „Der Tod Abels“ nebst einigen anderen Schriften aus ihrem Nachlaß herausgab. In den sechziger Jahren widmete er sich der weiteren Arbeit am „Messias“ und verfaßte zahlreiche Oden und Elegien, die in ihrer kreativen Anverwandlung antiker Metrik für die Entwicklung der deutschen Lyrik vorbildlich werden sollten. 1771 verließ er Kopenhagen und folgte seinem Gönner am dänischen Königshof, dem Minister Graf Bernstorff, nach dessen Sturz ins Exil nach Hamburg; drei Jahre später begab er sich auf Einladung des Markgrafen von Baden, der ihm ebenfalls eine Pension zukommen ließ, für einige Zeit nach Karlsruhe. Im Jahre 1773 war das Hauptwerk zwar noch nicht vollendet, da er es in späteren Auflagen noch bearbeitete, aber doch so weit gediehen, daß es erstmals vollständig in zwanzig Gesängen erscheinen konnte; im selben Jahr widmeten ihm die jungen Dichter des Göttinger Hains voller Bewunderung einen gemeinsam verfaßten Gedichtband, auch Wieland, Bürger und der junge Fichte bezeigten ihm große Verehrung. Klopstock stand jetzt im Zenit seines Ruhmes: als Dichter und Hauptvertreter des Lebensgefühls der Empfindsamkeit, als tiefreligiöser, vom Pietismus geprägter Geist und auch als streitbarer, zu Fehden neigender Intellektueller, dessen Rang und Wirkung als öffentliche Instanz laut Goethes Zeugnis in „Dichtung und Wahrheit“ für die schriftstellerische Existenz seiner Zeit und darüber hinaus vorbildlich waren. Nach dem epochalen Ereignis von 1789 wird es stiller um ihn; zwar begrüßt der alternde Dichter, trotz seiner Bewunderung für den dänischen König und seiner Abhängigkeit von fürstlichem Mäzenatentum, die Französische Revolution zunächst emphatisch, kritisiert jedoch bald die Jakobinerherrschaft in unmißverständlicher Schärfe, hält aber weiterhin an den revolutionären Idealen fest und gibt auch das ihm verliehene französische Bürgerrecht – entgegen entsprechenden Aufforderungen – nicht zurück. Klopstock steht zwischen den Epochen, ist gleichsam der erste bürgerliche Literat in Deutschland und kann dies nur von fürstlichen Gnaden sein; er schwärmt für den idealen Monarchen und wird – vielleicht deswegen – zum Parteigänger der Revolution, mit der das Zeitalter der Massen und Massenideologien anbricht, in dem ein den geistigen Welten von Homer, Vergil, Horaz, Luther, Opitz und Milton verpflichteter Dichter keinen Platz mehr hat. Für die nachfolgenden Generationen des Sturm und Drang und der Romantik ist er ein Repräsentant der Zopfzeit, und in der idealistischen Ästhetik, bei Schelling, Hegel und Vischer, erscheint sein „Messias“ mit Miltons „Paradise lost“ als abschreckendes Beispiel für die angeblich erwiesene Unmöglichkeit des Epos in der Neuzeit. Der bürgerliche Roman und die von der Romantik wiederentdeckten Volkslieder und Balladen verdrängen das archaische Versepos und die antikisierende Lyrik, was – zumindest angesichts der meist erfolglosen Versuche, das Versepos wiederzubeleben – keinesfalls nur ein Verlust, sondern wenigstens teilweise auch ein Gewinn ist; zudem gerät jetzt erst die „deutsche Antike“ des Mittelalters und der germanischen Vorzeit als gleichrangig neben der abendländischen, griechisch-römischen Antike in den Blick, wofür der Zeit Klopstocks jedes Verständnis fehlte. Trotzdem wird er weiterhin und oft mit Bewunderung – wie etwa vom jungen Goethe, dessen Hymnen ohne ihn kaum denkbar sind, oder von Hölderlin als seinem großen Nachfahren – rezipiert, im zwanzigsten Jahrhundert hat er vor allem Rilke, Friedrich Georg Jünger, Josef Weinheber, Helmut Heißenbüttel und Peter Rühmkorf zu produktiven Auseinandersetzungen aufgefordert; allgemein gilt er jedoch, wie seine von Klassik und Romantik überschattete Epoche, als etwas angestaubt und nur schwer zugänglich. Seine Hymnen und Oden fehlen in keiner Anthologie und werden doch, trotz ihrer Schönheit, fast nur hinsichtlich ihrer die Sprache erneuernden Wirkung wahrgenommen. Hierin – und sicher nicht in Klopstocks pietistischer Frömmigkeit und Innerlichkeit, die ungewollt den von ihm bekämpften Subjektivismus Kants vorbereitete – liegt seine eigentliche Bedeutung: Gerade im Rückgriff auf antike Versformen gelangte er zu einer freien Rhythmik, die für die Entwicklung der deutschen Literatursprache an der Schwelle zur Klassik und weit darüber hinaus maßgebend war. Vor zweihundert Jahren, am 14. März 1803, starb Friedrich Gottlieb Klopstock in Hamburg. 1962 schrieb Friedrich Georg Jünger über ihn: „In der Tat gibt es seit Luther niemanden, der eine solche Macht über die Sprache ausgeübt hätte, wie er es tat.“ Bild: Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803): Ein streitbarer Geist
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