Die FAZ ist keineswegs nur ein Tummelplatz für Donaldisten. Sie ist auch eine Art Gemeindeblatt für den elitären Kreis der Aby-Warburg-Kenner sowie die wesentlich größere Zahl derer, die sich dafür halten. Kein Wunder, daß selbst eine Trivialität wie ein zur Aufführung im Familienkreis gedachtes Warburg-Dramolett der letzten FAZ-Ausgabe im alten Jahr fast eine ganze Seite wert war. Der 1929 verstorbene Hamburger Kunsthistoriker ist eben in den letzten zwanzig Jahren zur Kultfigur geworden, zur repräsentativen Gestalt der Wissenschaftskultur um 1900, die in der geistesgeschichtlichen Rückschau gleichrangig neben Sigmund Freud, Albert Einstein und Max Weber gestellt wird. Gleichwohl und ungeachtet des inzwischen angehäuften Berges an Sekundärliteratur, bleibt die Warburg-Lektüre nicht selten auf wenige Texte beschränkt. Öfter begegnet man auch „Warburgianern“, die ihr Wissen nur aus Ernst H. Gombrichs Biographie schöpfen, nicht zu reden von jenen, die kaum mehr mit dem Namen verbinden als die Anekdote vom Bankierssohn, der seinen Brüdern die Geschäfte gegen die vermeintlich leicht erfüllbare Zusage überließ, ihm fortan sämtliche Bücherkäufe zu finanzieren, was sie spätestens nach Überschreiten der 50.000er-Grenze bereut haben dürften. Mit dem von Horst Bredekamp und Michael Diers edierten Neudruck der 1932/33 erstmals gesammelt erschienenen Veröffentlichungen Warburgs im Rahmen einer „Studienausgabe“ liegt jetzt jedenfalls ein Textkorpus vor, der solcherart biographisch-anekdotische Vermittlungen des Werkes überflüssig macht. Nun läßt sich besser überprüfen, ob nicht die ausufernde Warburg-Forschung die wissenschaftshistorische Bedeutung auf manchen Feldern überschätzt. Vergleicht man etwa, daß es einer aufstrebenden Kraft wie Wilhelm Waetzoldt um 1910 ganz selbstverständlich war, das Kunstwerk „gesellschaftlich“ zu verstehen, wirkt Warburgs Theorem von der Funktionalität bildnerischer Gestaltung in seiner Zeit schon weniger revolutionär. Aby Warburg: Die Erneuerung der heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur europäischen Renaissance. Akademie Verlag, Berlin 2002, 2 Teilbände, 725 Seiten, Abbildungen, 95 Euro
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