Etwas überraschend erschien kürzlich ein ausgedehnter Artikel von Günter Gaus in der Süddeutschen Zeitung, wo der ehemalige Spiegel-Chef, Fernseh-Großinterviewer und frühere Gesandte („Ständige Vertreter“) der BRD in der DDR dem Publikum etwas umständlich mitteilte, er, Gaus, sei „kein Demokrat“ mehr. Zwar respektiere er weiterhin die FDGO („freiheitlich-demokratische Grundordnung“), aber zu Wahlen gehe er nicht mehr. Die hätten keinen politischen Sinn mehr, „die da oben“ machten ja doch, was sie wollten, und die Medien mit ihrem Geschwätz sicherten alles wasserdicht ab. Ab sofort also gelte: „Ich bin kein Demokrat mehr.“ „Da haben wir’s!“ war wohl die erste Reaktion mancher Leser. „Der Mann ist offenbar in seiner Gesandten-Zeit zu oft mit Honecker auf Rothirsch- und Wildschweinjagd in die Schorfheide gegangen. So etwas untergräbt auf Dauer das demokratische Bewußtsein und hat gewisse Spätfolgen.“ Aber! Honecker wird ihm bei ihren gemeinsamen Pirschgängen doch oft genug versichert haben, wie lupenrein demokratisch es in der DDR zugeht. Gaus hat auch zu erkennen gegeben, daß ihm eine solche Sichtweise nicht ganz fremd ist. Wir sind doch alle Demokraten, nämlich Antifaschisten, nur die Verfahrensweisen sind diesseits und jenseits der Mauer ein bißchen verschieden. An Honecker wird Gaus‘ Selbstbezichtigung also kaum gelegen haben. Des Rätsels Lösung liegt wohl eher in einer Art Herrenreiter-Komplex. Gaus weiß genau, wie rabiat hierzulande Äußerungen gegen den offiziell definierten Geist der Demokratie geahndet werden, besonders in der Medienbranche. Ketzer werden mundtot gemacht oder gar unter Terror gesetzt. Aber vergreift man sich auch an einem Gaus? Mitnichten! Deshalb also: „Ich bin kein Demokrat mehr.“ Man kann sich’s leisten. Nicht jeder ist ein Ex-Gesandter mit Erfahrungen in der Rothirschjagd.