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Das Projekt Forseti, für das der in Jena lebende Musiker Andreas Ritter verantwortlich zeichnet, verstört nicht durch die Musik, sondern durch das Konzept, das dieser zugrunde liegt. Man mag es als ein unbeabsichtigtes Experiment verstehen: Wie nahe kann der Neo Folk an das Liedgut der postromantischen Tradition herangeführt werden, ohne seine Herkunft, Punk und New Wave, zu verleugnen? Mit Forseti scheint die Grenze erreicht, wahrscheinlich sogar überschritten. Auf „Windzeit“ (Grunwald), der ersten CD, die mehr als nur eine Hörprobe bieten soll, fällt zunächst auf, daß auf muttersprachliche Wortbeiträge geachtet wird. Englisch singt lediglich Douglas P. (ansonsten insbesondere im Namen von Death in June tätig) in seinem Gastspiel, das sich thematisch sogar auf Forseti einläßt. Ausschließlich auf Deutsch äußert sich hingegen Andreas Ritter. Wenn seine Stimme auch nicht immer trägt (er stellt jedoch die in diesem Genre weit verbreiteten Leierkastenmänner vom Schlage Ian Reed oder Tony Wakeford in den Schatten), vermögen allerdings die Texte den selbst gesetzten Qualitätsanspruch weitestgehend einzulösen – und dies auch dort, wo keine literarischen Größen wie Ludwig Tieck oder Hermann Hesse bemüht werden, sondern Ritter selber um Worte gerungen hat. Sein puristischer Ansatz läßt ihn nicht bloß auf steckdosenbetriebene Instrumente verzichten. Man wird auch nicht mit dissonanten Irritationen konfrontiert. Die Weltanschauung und die Lebensauffassung, die Forseti zum Ausdruck bringen, sind vor allem heroisch schicksalsergeben, dabei aber klar und konturiert. Die Liebe zur Romantik geht nicht so weit, daß auch mit Ironie aufgewartet würde. Der Weg von Forseti zum Hamburger Singewettstreit ist kürzer als jener zum Lifestyle-Obskurantismus, wie ihn die World-Serpent-Szene repräsentiert. Popstars aus der Retorte sucht Deutschland in diesen Monaten nicht zum ersten Mal, es hatte solche schon im Jahr 1971 gefunden. Damals zog sich der renommierte Musikjournalist Uwe Nettelbeck mit sechs ausgewählten Haschrebellen in eine ehemalige Zwergschule in Norddeutschland zurück und verkündete einen kulturellen Aufbruch, der aus der Klausur, der sie sich unterzögen, erwachsen würde. Die Plattenfirma Polydor glaubte ihm und unterstützte das Vorhaben mit einem für damalige Verhältnisse sensationell dotierten Plattenvertrag. Anregend war von der ersten Veröffentlichung der krautrockig auf den Namen Faust getauften Band allerdings nur die Idee, das Geschrammel und Gefiepse auf durchsichtiges Vinyl zu bannen. Faust fiel in Deutschland durch und konnte auch den durch einen Marketingcoup des Virgin-Gründers Richard Branson in England erzielten Erfolg nicht festhalten. 1974 löste sich die Band auf. So erstaunlich wie die Reunion von Faust in den neunziger Jahren ist auch die nun erschienene Collage „Patchwork 1971-2002“ (Staubgold/ Indigo), die Aufnahmen aus diesen Jahrzehnten miteinander vermengt. Der Hörer folgt einem Pfad durch die Niederungen der populären Musik – als zappte er verzweifelt zwischen verschiedenen enervierenden und nur schwach empfangenen Radiostationen hin und her. Man spürt: Hier sind immer noch Künstler am Werk, die an sich glauben, die sich gegenseitig ihrer Genialität versichern und loslegen, irgendwie, ein bißchen dies, ein bißchen das, und dann wieder ganz anders, eine jahrzehntelange Session, die nie zu einem überlieferungswürdigen Resultat geführt hat, nur zu dem ihnen angedichteten Ruhm, zu der fragwürdigen Behauptung, ungeheuer einflußreich gewesen zu sein. Es läßt sich nur schwer überprüfen, ob wirklich so viele Bands, die man tatsächlich hört, von Faust beeinflußt waren. Eines weiß man jedoch: Sie waren alle besser.

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