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Das Scheitern unpolitischen Künstlertums

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Das Scheitern unpolitischen Künstlertums

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Finden die großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts Erwähnung, so wird einem unter ihnen ein besonderer Platz zugesprochen, sowohl bezogen auf seinen über alle Zeitläufte hinweg anerkannten höchsten künstlerischen Rang als auch auf eine von manchem empfundene „politisch-moralische Umstrittenheit“: Wilhelm Furtwängler. So wundert nicht, daß auch ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Dirigenten im Jahre 1954 sein Name im rein künstlerischen Bereich einen sehr guten, im Hinblick auf seine von ihm selbst bestrittene politische Rolle im 20. Jahrhundert aber einen eher negativen Beiklang hat. Furtwängler ist heute noch Gesprächsthema, vielleicht, so werden einige empfinden, auch aus Mangel an wirklich großen Dirigenten-Persönlichkeiten in der Gegenwart. István Szábo etwa, Regisseur von „Mephisto“, widmete im Jahre 2001 dem Schicksal des Dirigenten nach dem Kriege und der Frage nach einer Schuld des Künstlers in einer Diktatur das verfilmte Kammerstück „Taking Sides“ (Der Fall Furtwängler). Daniel Barenboim, Chef der Berliner Staatsoper, der dem Dirigenten wenige Monate vor dessen Tod als Elfjähriger in Salzburg selbst noch vorspielen durfte, ist zusammen mit der Staatskapelle Berlin nicht nur im März diesen Jahres mit dem renommierten Wilhelm-Furtwängler-Preis ausgezeichnet worden, er führte unlängst sogar Werke des Komponisten Furtwängler in den USA auf, wo der Musiker im Jahre 1949 noch boykottiert wurde. Barenboim, der ähnliche Begeisterung in der demonstrativen Vertretung des Werkes des ebenfalls für viele politisch inopportunen Richard Wagner zeigte, ist gerade der Person Furtwänglers eng verbunden, weil ihm dieser seinerzeit ein positives Zeugnis ausstellte. Auch Christian Thielemann, jener in Berlin an der Deutschen Oper beheimatete Dirigent, der kürzlich durch seine „Meistersinger“ in Bayreuth auffiel, ehemals Assistent des frühen Furtwängler-Rivalen Herbert von Karajan, sieht Furtwängler als sein großes musikalisches Vorbild – und wird prompt vom betont linken Teil der Musikkritik dafür gescholten. Damit huldige Thielemann einem verwerflichen Bild des „auratischen, genialen und willensstarken Dirigenten“ (Björn Gottstein in der taz vom 10. Januar). Dem von Karajan und besonders Furtwängler geprägten „Kult um den Dirigenten“ will man lieber gleich Einhalt gebieten, offenbar aus einer unbestimmten Angst heraus. Doch erscheint zweifelhaft, ob der Name Furtwängler tatsächlich für solcher Art Rhetorik taugt, wie sie gegen Thielemann und Barenboim von deren Kritikern im In- und Ausland vorgebracht wird. Eher schon ist wieder eine Tendenz zur deutschen Selbstvergewisserung zu verspüren, die vielleicht zuletzt in der Persönlichkeit Furtwänglers einen prägnanten Ausdruck gefunden hat. In diese Gegenwart, die derart von Furtwängler-Sehnsucht erfüllt zu sein scheint, stellt der Freiburger Publizist Herbert Haffner seine Biographie des Dirigenten. Haffner, ein Fachmann für Orchestergeschichte und das gegenwärtige klassische Musikleben, weiß um den Kultstatus des Maestros, und würdigt gleich eingangs den „Mythos“ des Dirigenten, spricht vom „glorifizierten Pultgott“, und verweist auf die immense Präsenz von Tonträgern, Internetseiten, Raubkopien, Fangemeinden, welche rund um den Globus die Verehrung des Dirigenten symbolisieren möge. In detektivischer Arbeit, die jedoch nie effektheischend-anekdotenhaft abgleitet, zeichnet Haffner in 18 Kapiteln das Leben und Wirken des Musikers nach. Heraus kommt die tragische Geschichte eines deutschen Genies, dem die Sympathie des Lesers gewiß ist. Ein besonderes Verdienst des Autors ist, daß er trotz seines Spezialwissens keine den historischen und biographischen Zusammenhängen entrückte musiktheoretische Abhandlung liefert. Vielmehr gelingt es Haffner, ein breites, zeit- und ideengeschichtlich vorgebildetes Publikum anzusprechen. Er wertet archivalisch neu erschlossene Dokumente aus, zieht die Forschungsliteratur wie etwa die für den Streit Furtwänglers mit dem Haus Wagner aufschlußreiche 2003 erschienene Biographie Winifred Wagners von Brigitte Hamann heran und setzt interessante inhaltliche Schwerpunkte. So widmet er dem Milieu des Münchener Bürgertums vor dem Ersten Weltkrieg breiten Raum, beleuchtet ohne wertenden Ton die Verflechtungen nationalkonservativer, deutsch-völkischer und später zum Nationalsozialismus tendierender Kreise. Die Bedeutung der frühen Dirigententätigkeiten in Lübeck, Zürich, Mannheim für die Entwicklung des Musikers, schließlich der kometenhafte Aufstieg in den zwanziger Jahren über Leipzig und Berlin werden facettenreich dargestellt. Und immer steht die komplizierte Persönlichkeit des Dirigenten und Komponisten zur Diskussion. Je mehr Furtwängler zum Star wird, desto mehr erweist sich die von ihm früh selbst empfundene Unfehlbarkeit und Außergewöhnlichkeit als Fluch. Besonders im nationalsozialistischen Deutschland verstand er sich als unersetzliche Instanz der deutschen Kultur – in solch hybrid anmutender Selbststilisierung durchaus ein Antipode Thomas Manns, der eine solche Repräsentanz in der Emigration für sich in Anspruch nahm. Im Zentrum der Darstellung steht Furtwänglers Dilemma: Konnte er, dazu an exponierter Stelle, unpolitisch bleiben, sich also Hitlers Kulturdoktrin widersetzen? Der Fall Furtwängler zeigt, wie dieser Kampf um ein freies Künstlertum für den Dirigenten dramatisch verlorenging. Sein vergeblicher Einsatz für Paul Hindemith (nicht für dessen Musik an sich, denn Haffner weist ihm eine dezidiert konservative Musikauffassung nach), für die künstlerische Selbstbestimmung, darüber hinaus für die Weiterbeschäftigung von unersetzlichen jüdischen Ensemblemitgliedern zerstören jede bildungsbürgerliche Illusion über die Autonomie der Kunst im totalitären Staat. Konsequent war dann sein Rückzug aus nahezu allen staatlichen Funktionen, bis hin zum Bruch mit Bayreuth. Nach 1945 zeigen dann die Diskriminierung durch Fragebogen sowie die halbherzige Wiederbeschäftigung im besetzten Restdeutschland einen moralisch-politisch Gescheiterten, der zugleich für ein großes Mißverständnis zwischen Bürgertum und Nationalsozialismus steht. Als Verlierer wird sich Furtwängler wohl gefühlt haben, ganz im Gegensatz zu der Vorstellung vom musikalischen Gott, den seinerzeit die Hörer in ihm sahen. Ein spätes Zeichen für Furtwänglers Scheitern im eigenen Lande mag wohl auch gewesen sein, daß zu seiner Beerdigung in Heidelberg keine politische Prominenz der Bonner Republik, die ihm doch kurz zuvor ihren höchsten Orden verliehen hatte, erschienen war. Die üppigsten Kränze stammten übrigens von den Berliner Philharmonikern und seinem ärgsten Konkurrenten – Herbert von Karajan. Foto: Wilhelm Furtwägler (r.) mit Hitler, Winifred Wagner (l.) und Tochter Verena (Mi.) in Bayreuth 1937: Unersetzliche Instanz deutscher Kultur Herbert Haffner: Furtwängler. Parthas Verlag, Berlin 2003, gebunden, 494 Seiten, 38 Euro

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