Neben Jack London und John Steinbeck gehört Upton Sinclair zu den einflußreichsten amerikanischen Belletristen, die der geballten Macht des herrschenden Kapitalismus in den USA literarisch entgegentraten. Sein Programm der sozialen Gerechtigkeit für die Arbeiter und „kleinen Leute“ verfocht der von einer einst prominenten, aber später verarmten Familie aus dem Süden der Vereinigten Staaten abstammende Sinclair jedoch mit weitaus größerem Fanatismus. Anders als London, der ein luxuriöses Leben bevorzugte, war er nicht nur im Reich des Denkens Sozialist, sondern lebte selbst lange in Armut, ließ sich wiederholt auf spektakuläre Projekte ein, darunter die Organisation eines „Theaters auf Rädern“, das durch das ganze Land fahren und sozialistische Theaterstücke verbreiten sollte. Eine Zeitlang lebte er in einer kooperativen Siedlung, deren Bewohner die Theorie von Henry George vertraten, wonach ausschließlich Landeigentümer Steuern zahlen sollten. In seinem 1936 erschienenen Roman „Co-op“ hat er diese für amerikanische Verhältnisse zweifellos revolutionären Ideen auch literarisch aufbereitet. Upton Beall Sinclair wurde am 20. September 1878 in Baltimore im Staate Maryland geboren. Sein Studium an der New Yorker Columbia-Universität finanzierte er vorwiegend durch das Schreiben von Trivialromanen, weil seine Eltern nicht in der Lage waren, für die hohen Studiengebühren aufzukommen. Bereits als Student bekannte er sich aktiv zum Sozialismus und verfaßte idealistische Schriften über Pazifismus, politische Korruption, wirtschaftliche Unterdrückung der Massen und andere soziale Probleme, in denen er großen Nachdruck auf das legte, was er Klassenkampf nannte, den Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital, den ewigen Interessenkonflikt. Sinclair sah den Klassenkampf als ein „Gesetz der sozialen Entwicklung“ an, für das die Arbeiter jedoch nicht verantwortlich waren. Unnachsichtig und mit scharfen Worten geißelte er „die fürchterliche Roheit und Grausamkeit, mit der die kapitalistische Klasse die arbeitende Klasse behandelt“. 1906 erschien sein Roman „Der Sumpf“, der die damaligen Zustände in den Schlachthäusern von Chikago und das Elend der dort Arbeitenden schildert. „The Jungle“, so der Originaltitel, war „eine Reise durch die Hölle“, wie ein Kritiker schrieb, doch die Schlachthäuser, die Sinclair beschrieb, waren für ihn genau wie die von kindlichen Sklaven unterhaltenen Baumwollspinnereien des Südens nur das Symbol einer Gesellschaftsordnung, die von Anfang an auf Blut gegründet war. Immerhin erregte der Roman aber so viel Aufsehen und führte zu so starken Protesten, daß die Schlachthausbetreiber unter Druck gerieten und sich gezwungen sahen, wenigstens einige der schlimmsten Mißstände zu beseitigen. Bertolt Brecht hat später Sinclair neben seinem marxistischen Lehrer Karl Korsch als denjenigen bezeichnet, der den größten Einfluß auf sein Werk hatte, und das im Chikago der zwanziger Jahre spielende Lehrstück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ ist eine Hommage auf Sinclair. Sinclairs harte Kritik am Kapitalismus kennzeichnete auch seine Romane „König Kohle“ (1917), „Jimmy Higgins“ (1919), „100 %“ (1920) und „Petroleum“ (1927). Zu einer scharfen Anklage gegen die amerikanische Justiz und die bürgerliche Gesellschaft geriet der Roman „Boston“ (1928), in dem Sinclair den Sacco-Vanzetti-Prozeß literarisch verdichtet. Die beiden italienischstämmigen Anarcho-Kommunisten Sacco und Vanzetti waren damals nach einem recht skandalösen Prozeß allein aufgrund unbewiesener Behauptungen, die noch dazu mit rassistischen Ressentiments gespickt waren, und vom FBI aufbereiteter Indizien wegen eines angeblichen Raubüberfalls auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet worden. Der Justizmord an den beiden Italienern, die die Tat immer bestritten hatten, führte zu weltweiten Demonstrationen und Kundgebungen gegen das Justizsystem der USA. Sinclair schildert dies alles in einem flüssigen Reporterstil. Trotz des propagandistischen Zugs heben sein Gefühl für Dramatik und die vielen präzisen Schilderungen von Menschen und Ereignissen „Boston“ weit über einen gewöhnlichen „Tatsachenroman“ hinaus und rücken das Buch in die Nähe des Naturalismus. Eine marxistische Interpretation der jüngsten Geschichte von den Vortagen des Ersten Weltkrieges bis nach dem Zweiten Weltkrieg geben auch die 1940 mit „Welt-Ende“ begonnenen elf Lanny-Budd-Romane, so genannt nach dem Helden, dem Sohn eines reichen Munitionsfabrikanten. Die Romanserie versucht die Entwicklung eines jungen Menschen zum verantwortungsbewußten Staatsbürger zu schildern, der Kommunismus wie Faschismus gleichermaßen ablehnt. Für „Drachenzähne“ (1946), den dritten Band dieser zeitgeschichtlichen Romanserie, der über den Terror des NS-Regimes berichtet, erhielt Sinclair, der sich selbst inzwischen ideologisch vom Sozialismus entfernt hatte, den Pulitzer-Preis. Seine frühere schroffe Ablehnung des Christentums revidierte der Autor schließlich in den Romanen „Jesus, wie ich ihn fand“ (1952) und „Unsere liebe Frau“ (1958). Am 25. November 1968 – während eine linke und sozialistische Jugend- und Studentenbewegung weltweit rebellierte – starb Upton Sinclair im Alter von achtzig Jahren in Bound Brook, New Jersey. 1981, dreizehn Jahre nach seinem Tod, erschien der späte Roman „Becher des Zorns“, in dem Sinclair – wenn auch in verschlüsselter Form – über manche Irrtümer seines Lebens berichtet.
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