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Ästhetik der Restauration

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Dichter der Gegenaufklärung“, heißt ein Buch von Michael Wiesberg (erschienen in der Edition Antaios, Dresden), das dem Schaffen und der Gedankenwelt von Botho Strauß gewidmet ist. Wiesberg versucht in seiner Studie, Strauß‘ philosophische und ästhetische Äußerungen auszuleuchten und mit seinem Werk eine Hermeneutik für das Verständnis des Gesamtwerks von Strauß zu liefern. Diese Hermeneutik umfaßt beträchtliche Teile des Buches und dient dazu, die komplexe Denkbewegung von Botho Strauß nachzuvollziehen und transparent zu machen. Dabei konzentriert sich Wiesberg vor allem auf das Geschichtsbild von Botho Strauß, seine Kulturkritik sowie seine Poetik der Zeit. Wiesberg zeigt, wie stark das Werk von Botho Strauß durch den Gegensatz zweier Denkfiguren geprägt ist, die der griechische Kulturphilosoph Panajotis Kondylis mit den Begriffen „analytisch-kombinatorisch“ und „synthetisch-harmonisierend“ umschrieben hat. Der Überblick über das Gesamtwerk macht deutlich, daß Strauß spätestens seit dem 1985 publizierten Großgedicht „Diese Erinnerung an einen, der nur einen Tag zu Gast war“ mehr und mehr die romantische Vorstellung von der Erinnerung als einer Sehnsucht nach einer ganzheitlichen Weltsicht rezipierte: ein poetologischer Ansatz, den Wiesberg anhand von Jan Assmanns Theorie des „kulturellen Gedächtnisses“ überzeugend zu interpretieren weiß. Bereits in „Diese Erinnerung an einen, der nur einen Tag zu Gast war“ sind Anklänge an die Berufung auf die antimodernistische Tradition von Novalis zu Jünger und an das kommende Bekenntnis zum Dichtertum spürbar: „Goldene Frühe und Väter-Zeit – ist nicht über Vergängliches klagen die Urerregung des Dichters? Ist nicht Geschichtstrug nötig für den Beginn jeden Gesangs?“ Von Anfang an vermischten sich bei Strauß persönliches Geheimnis und Mythologie, genau beobachtete Realität und Rätselhaftes. Das Geheimnis der Fabel, der Hauch von Mysterium, das Vexierspiel mit der Zeit und der Logik – sie waren als Themen in Strauß‘ Werk spätestens seit den siebziger Jahren präsent. Rückgriffe auf eine dem Aufklärungsdenken entgegengesetzte, von der Romantik beeinflußte Erinnerungspoetik und eine kulturkonservative Haltung sind dabei nach Wiesbergs Ansicht mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Die Infragestellung des binären Denkens habe letztendlich in einen konsequenten Kulturkonservatismus gemündet, der an mythische Dimensionen anzuknüpfen versuche, ohne sich an soziale und moralische Standards anzupassen. Wiesbergs übersichtlicher Abriß macht deutlich, daß der Essay „Anschwellender Bocksgesang“, der 1993 gewaltiges Aufsehen erregte, keineswegs als solitäres Glanzstück in der Straußschen Geisteslandschaft steht, sondern von vornherein in einen umfangreichen Kontext eingeordnet war, und daß Strauß seit langem als prononcierter Kritiker des Rationalismus gelesen werden kann. Dabei ist Wiesberg zum Glück nicht entgangen, daß der scheinbar so distanziert beobachtende Strauß sehr wohl auch ein an der Aktualität orientierter Chronist sein kann, wie der Ruf der sozial Abgedrängten nach einem starken Führer in „Ithaka“ (1996) und die satirischen Seitenhiebe auf die Talk-show-Gesellschaft in „Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia“ (2001) beweisen. In „Anschwellender Bocksgesang“ protestierte Strauß überzeugend gegen die „Totalherrschaft der Gegenwart, die dem Individuum jede Anwesenheit von unaufgeklärter Vergangenheit, von geschichtlichem Gewordensein, von mythischer Zeit rauben und ausmerzen will“. Deutschland erscheint bei Strauß spätestens seit den achtziger Jahren als ein „geschichtsloses Land“. „Das Land, das geheime Land, das man in sich trägt, ist lang vergessen. Nicht einmal der heilige Akt der Wiedervereinigung hat es in Erinnerung bringen können. Diese Deutschen haben sich Rücken an Rücken vereinigt.“ („Wollt ihr das totale Engineering?“, 2000). Im gleichen Atemzug konstatierte Strauß im Hinblick auf die Linke: „Es droht von der Linken keinerlei geistige Anregung mehr; sie wird sich allenfalls beteiligen an der Organisation des gesellschaftlichen Verfalls in Form der politischen Korrektheit.“ Über die Analyse der Sprach- und Metaphysikkritik des „Medienverächters“ Strauß zeichnet Wiesberg das Porträt eines unzeitgemäßen Dichters, der sein Dichtertum als bewußt metaphysische Sinngebung versteht und die Kunst als autonome Sphäre gegenüber der naturwissenschaftlich-technischen Vernunft verteidigt. Ein Dichter, der, im Gegensatz zur Dekonstruktion von Sprache, diese als grenzenloses Schaffenspotential und als Trägerin metaphysischer und transzendenter Bedeutung begreift. In dieser Tendenz liegt nun auch die Übereinstimmung mit der von Wiesberg ins Spiel gebrachten Tradition der deutschen Gegen-Aufklärung, deren Vertreter der Auffassung waren, daß das Legitimationsdefizit der analytischen Vernunft durch die Poesie ausgeglichen werden könnte. Wenn Strauß moderne Denkergebnisse der Anthropologie, Physik und Philosophie ästhetisch einzuholen versucht, ist er nach Wiesbergs Ansicht der Dichter der Gegen-Aufklärung, der die Leistungen dieser Aufklärung stets nachvollzieht, bevor er sie überwindet. Die zugespitzte Formel der „Ästhetik der Restauration“ enthält den poetologischen Ansatz von Strauß: Überwindung des Auflösungswerks der Moderne, Restitution des Subjekts, Wiedereinsetzung des Dichters als „Romantiker des Wissens, wie Novalis und Friedrich Schlegel es waren“. In der Tat läßt sich Strauß‘ Berufung auf das Dichtertum mit Teilaspekten der konservativen Romantik vergleichen. Auch bei Strauß erscheint der „kritisch-soziale Aufklärer“ als Symptom einer links-ideologischen Engführung, die Literatur durch politische Manifeste und Aktionen ersetzt. Dennoch soll die im „Bocksgesang“ beschworene Phantasie des Verlustes mit seiner ontologischen Sehnsucht nach einem ungeteilten Grund nicht mit einer konkreten politischen Stellungnahme verwechselt werden. Wiesberg läßt in seiner Studie die Frage offen, ob Strauß sich von seiner rein auf sich selbst und die Erinnerung gerichteten „Ästhetik der Restauration“ einen korrigierenden Einfluß auf Gesellschaft und Politik verspricht. Strauß scheint es vor allem um die Zurückgewinnung von Verbindlichkeit und Sinn zu gehen. Wiesberg hätte diese Aspekte ohne weiteres mehr in den Vordergrund rücken können, um seine These vom „rechten“ Gegenaufklärer Strauß zu relativieren. Trotz dieses Einwands bietet die kompakte Studie eine ausgezeichnete und gut lesbare Einführung in das Werk von Botho Strauß, die zum besseren Verständnis des Dramatikers und Schriftstellers wärmstens empfohlen werden kann. Die Studie ist zu einem anregenden Porträt eines Intellektuellen geworden, der Adorno und Bloch einst zu seinen Säulenheiligen zählte, seit einigen Jahren aber konsequent für eine poetische Restauration des Geheimnisses eintritt, um den Entzauberungen einer überhellen Aufklärung entgegenzutreten. Michael Wiesberg: Botho Strauß. Dichter der Gegen-Aufklärung. Edition Antaios, Dresden 2002, 144 Seiten, 12 Euro

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