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Popgedichte

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Cato, Palmer, Exklusiv

Der Hamburger Achim Reichel, kürzlich 58 Jahre alt geworden, zählt zu den Urvätern des Deutschrock. Nach europaweiten Erfolgen als Frontmann der „Starclub“-Band Rattles und einigen verspielten Elektronikalben begann der Gitarrist, Komponist und Sänger 1976 seine Solokarriere mit blueslastigen, rockigen Alben – mit deutschen Texten. Erst verrockte er in gekonnter Manier norddeutsche Volks- und Seemannslieder wie „Rolling Home“ oder „Hamburger Veermaster“. 1978 knüpfte er sich deutsche Gedichte des 18. und 19. Jahrhunderts von Theodor Fontane („Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“), Ina Seidel („Regenballade“) oder Detlef von Liliencron („Pidder Lüng“, „Trutz Blanke Hans“) vor und unterlegte diese mit Blues, Boogie Woogie und Rock’n’Roll. Später vertonte er Gedichte junger Lyriker wie Kiev Stingl, Richard L. Wagner oder Jörg Fauser. Mit Fauser ging er von 1981 bis 1986 eine sehr gelungene Kooperation ein: Reichel komponierte zu den düsteren Großstadtreimen des Berliner Untergrundlyrikers bluesbetonte Rockmusik. Mit Erfolg: Die Single „Der Spieler“ konnte sich im Frühjahr 1983 sogar in der Hitparade plazieren. Seinen größten kommerziellen Erfolg feierte er 1991 mit der Top-10-Single „Aloha Heja he“ und der Folgenummer „Kuddel daddel Du“. Reichels letztes Album „Oh Ha!“ (1995) ging allerdings vollkommen unter, weil ihm musikalisch nichts mehr eingefallen war. Was lag da näher, als sich rückzubesinnen. So zog sich Achim Reichel in sein eigenes Tonstudio im Norden Hamburgs zurück, wühlte sich an der Universität durch Gedichte, Balladen und Mythologien der letzten Jahrhunderte – und schloß mit seinem aktuellen Album „Wilder Wassermann – Balladen und Mythen“ genau dort an, wo er Ende der Siebziger mit seinen Shanty-Bearbeitungen und dem legendären „Regenballade“-Album seine besten Arbeiten vorlegte. Reichel stellte sich die Frage, wie wir Deutschen mit unserer Kultur umgehen sollten, wo unsere Wurzeln lägen. Wenn man deutsche Volkslieder spiele, so Reichel, liefe man immer Gefahr, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Doch könne es nicht angehen, daß zwölf Jahre NS-Herrschaft die gesamte deutsche Kultur zerstöre. Ein irischer Freund sagte ihm: „Ihr müßt Euch Eure Kultur zurückholen.“ Und weil Reichel meint, ein Volk bedürfe seiner eigenen Kultur, veröffentlichte er nun den „Wilden Wassermann“. Bei der Einspielung setzte er eine Vielzahl von Instrumenten ein wie Mandoline, Saz, Japan Banjo, Flöten und das Triton Muschelhorn; sogar ein fünfköpfiges Blasorchester aus St. Petersburg war mit am Werk. Die Folk- und Rockkompositionen, durchsetzt mit Blueselementen sowie wilden Ska- und Polkarhythmen, passen sich gut den Reimschemata der Gedichte an. Die meisten davon sind sehr bekannt, einige haben wir in der Schule auswendig gelernt. Eduard Mörikes „Geister vom See“ bilden die düster-mystische Stimmung des Albums. Der „Erlkönig“ von Johann-Wolfgang von Goethe kommt genauso vor wie „Besalzar“ von Heinrich Heine. „Die Ballade von der Loreley“ – geschrieben von Heinrich Heine – konvertiert von einem Dreiviertel- zu einem Viervierteltakt und wird so eine eingängige, mit Streichern verzierte Popballade. Zum Dylan-ähnlichen Talking Blues avancierten die elf Strophen von Lulu von Strauß und Torneys „Lars Jessen“, zum fröhlichen Rock die „Walpurgisnacht“, ein weniger bekanntes Gedicht von Theodor Storm. Natürlich ist „Wilder Wassermann – Balladen und Mythen“ in erster Linie ein Album für Freunde klassischer, unverschnörkelter deutscher Rockmusik ohne Anbiederung an den musikalischen Zeitgeist. Doch vielleicht wird es Schülern leichter fallen, ein klassisches Gedicht zu erlernen, wenn sie es in Form eines ansprechenden Popsongs mitsingen können.

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