Als Rainer Werner Fassbinder am 10. Juni 1982 im Alter von 37 Jahren in München an den Folgen eines Herzversagens starb, war er längst zum Star einer Kulturschickeria aufgestiegen, die sogar noch seinen völlig untragischen Tod mythologisierte. Dabei war die Diskrepanz zwischen den hymnischen Nachrufen und der tristen Realität evident. Mit Fassbinder, der 1968 als Autodidakt aus dem Kellertheater genau zur rechten Zeit gekommen war, um den verunsicherten westdeutschen Kulturbetrieb aufzumischen, brach auch der Idealismus bürgerlicher Ahnungslosigkeit über die Abgründe und Brüche des Lebens zusammen. Zwar hatte er nie den illusionären Fortschrittsoptimismus und die krude Revolutionsromantik der Linken, die ihn anbetete, geteilt, aber daß die deutsche Philosophie zwangsläufig in einer Moralphilosophie verenden mußte – wie Marx es in seiner „Deutschen Ideologie vorausgesagt hatte -, grub sich unmittelbar in die Ästhetik seiner Filme ein. Wie Fassbinder modellhaft die Brutalität zwischenmenschlicher Beziehungen, alltäglicher Gewaltverhältnisse und sozialer Mechanismen mit ihren Ressentiments und Leerformeln darstellte, das war mehr als nur hermetische eitle Selbstbespiegelung. Schon in seinen Filmen „Liebe ist kälter als der Tod“, „Warnung vor einer heiligen Nutte“ und „Händler der vier Jahreszeiten“ wurde jedoch ein Eklektizismus deutlich, der sich durch die extreme Stilisierung und den Rhythmus der Montage nicht nur den üblichen Kino-Konventionen verweigerte, sondern als Vorlage für die eigene Inszenierung jene hemmungslose Selbstverschwendung vorwegnahm, die fortan zum Markenzeichen des Rast- und Ruhelosen wurde. Fassbinders Stilwechsel wurde jetzt auch auf dem Theater unverkennbar. Allein Botho Strauß lobte 1971 „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ als „sehr künstliche Nachempfindung einer echten Kitsch-Geschichte“. Im etablierten Theaterbetrieb scheiterte er indes mit seinem nicht integrierbaren Konzept „Antitheater“. Mit dem im Dschungel von Korruption, Kapital, Spekulanten und Halbwelt angesiedelten Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ hinterließ er ein bizarres Großstadt-Märchen, dem der Antisemitismus-Vorwurf – zuerst in der FAZ erhoben – bis heute anhängt. Das Stück löste durch seine eigentümliche Mischung aus Mysterienspiel und Parabel, seine rüde Obszönität und eine expressionistisch überhöhte Anklage gegen das Gangstertum einer nihilistischen Metropolen-Gesellschaft eine Debatte aus, die weit über das Theater hinausführte. Mit der Fernsehserie „Acht Stunden sind kein Tag“ und den Filmen „Die Ehe der Maria Braun“, „Lola“ sowie „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ schuf der kinobesessene Douglas Sirk-Epigone Melodramen, die von Sehnsüchten und Finsternissen erzählten und doch nur Alpträume der Realität eines Abhängigen waren. Fassbinders Kokainsucht, sein Alkoholismus, seine tiefe Angst vor Einsamkeit, die er mit einem tragischen Mutterkomplex kaschierte, selbst in all diesen infantil-archaischen Regressionen eines zum labilen Avantgardisten des Establishments verkommenen Filmemachers blitzte noch ein Funken jener Brachialgewalt auf, die er in seinen frühen Inszenierungen anklingen ließ. Der mit zynischem Kalkül inszenierte Kommerzfilm „Lili Marleen“ und die umstrittenen Literaturverfilmungen „Effie Briest“, „Berlin Alexanderplatz“ und „Querelle“ waren nur noch Abgesänge auf eine Künstler-Karriere, die in den Armen einer Medienschickeria endete, die seine blindwütige Selbszerstörung zur Heroisierung ihres Selbstmitleids benutzte. Doch im Gegenstaz zu ihnen wußte Fassbinder immerhin, was er tat – und tat es trotzdem.