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Das letzte Versteck

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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

Roman Polanskis neuer Film „Der Pianist“ bereitet Schwierigkeiten, nicht auf der ersten, der Anschauungsebene, sondern der zweiten, der Rezeptionsebene. Der Film erzählt die Lebensgeschichte des polnisch-jüdischen Musikers Wladyslaw Szpilman (hervorragend dargestellt durch den Schauspieler Adrien Brody aus Brooklyn) vom Einmarsch der deutschen Truppen in Warschau 1939 bis zur unmittelbaren Nachkriegszeit. Der Jude Szpilman erlebt Diskriminierung, wird mit seiner Familie ins Warschauer Ghetto umgesiedelt, entgeht dem Konzentrationslager, flüchtet, hält sich in diversen Wohnungen versteckt und schafft es mit viel Glück schließlich – verwahrlost, krank, schwach und hungernd – bis zum Einmarsch der Roten Armee zu überleben. Szpilman wird dabei von Polanski als Beobachter von Zeitgeschichte angelegt. Immer wieder beobachtet er durch Fenster aus seinen Verstecken die sich unter ihm abspielende Weltgeschichte, gerät kurz in deren Mitte, um ihren zerstörerischen Orkanwinden in letzter Minute zu entfliehen. Dabei gelingt es Polanski, das Kriegsgeschehen, den deutschen Einmarsch, den Ghetto-Aufstand, den polnischen Aufstand, den Einmarsch der Roten Armee in das völlig zerstörte Warschau gerafft und atemberaubend plastisch dem Zuschauer nahezubringen. Selten wurde die Bedrohlichkeit, die Gefährlichkeit von Krieg derart anschaulich vermittelt. Die Darstellung ist durchaus differenziert, interne Ghetto-Vorgänge werden ebenso kritisch beleuchtet, wie das Wirken von jüdischen Kollaborateuren und Geschäftemachern ungeschönt gezeigt wird. In der Erzählung des polnischen Chopin-Interpreten Szpilman kommt Polanski seiner eigenen Lebensgeschichte bisweilen sehr nahe. Das dargestellte Elend, die fast nicht erträglichen Demütigungen durch deutsche Soldaten, die Todesängste und Fluchterfahrungen gehören zum Erleben Szpilmans wie Polanskis selbst. Der Regisseur entkam als Kind nur knapp dem Konzentrationslager, erlebte das Ghetto in Krakau, die Bombennächte von Warschau, die Mutter verstarb in Auschwitz. Schließlich stieß Polanski auf das autobiographische Buch „Das wunderbare Überleben“ von Wladyslaw Szpilman, das die wahre Geschichte vom Überleben eines jüdischen Pianisten im Zweiten Weltkrieg schildert. Polanski war fasziniert und erkannte, daß er einen neuen Filmstoff gefunden hatte: „In seinem Buch kommen gute Polen vor und böse, genauso wie es gute und böse Juden gibt, und gute und böse Deutsche…“. Wenn man sich auf den Film eingelassen und die Leiden seines Protagonisten miterlebt hat, kann man verstehen, welche mächtigen Bilder aus dem kollektiven Unterbewußtsein Wirkung zeigen müssen, wenn heutige Zeitgenossen mit gegenwärtigen politischen Phänomenen konfrontiert werden, die sie assoziativ an das Geschehen der dreißiger und vierziger Jahre erinnern. Der sadistische Schläger und Mörder scheint für den nicht differenzierenden und emotionalisierten Kinobesucher hinter der Fassade jedes Rechtspopulisten zu lauern. Und die Dumpfbacken im eigenen Land werden das von ihnen vorgefertigte Bild „des bösen Deutschen“ wiedererkennen und daraus die Motivation zum Verfassen weiterer „antideutscher“ Pamphlete schöpfen. Für einen Deutschen, der nicht „antideutsche“ Ressentiments bestätigt finden möchte, verlangt der Film starke Nerven. Deutsche treten fast nur in Gestalt sadistischer Folterer, Schinder, Schläger und Mörder auf. Lange wartet man vergeblich auf eine kleine menschliche Geste eines deutschen Soldaten. Regisseur Polanski ist allerdings keinesfalls „antideutsch“ motiviert. Am Schluß schafft es „Der Pianist“ auch noch, die Kurve zu nehmen. Lange, sehr lange muß der deutsche Betrachter warten, bis zum ersten Mal ein Landsmann auf der Leinwand erscheint, dessen Antlitz nicht von Haß, Brutalität und Dummheit gekennzeichnet ist: Am Ende des Films trifft Szpilman auf der Suche nach Nahrung zufällig auf einen deutschen Offizier (Thomas Kretschmann). Szpilman glaubt nun seine letzte Stunde angebrochen und erwartet, erschossen zu werden. Doch er trifft auf einen kunstsinnigen, sanftmütigen Menschen, die Verkörperung der besten Traditionen preußischer Ritterlichkeit. Der Offizier hilft dem eingeschüchterten Juden in dessen letztem Versteck, ausgerechnet auf dem Dachboden einer deutschen Heeresbefehlszentrale, indem er ihm heimlich Nahrung und Kleidung zusteckt. Schließlich ziehen die Deutschen ab, Szpilman wird beinahe noch von sowjetischen Soldaten erschossen. Der deutsche Offizier, den er nach dem Krieg sucht, bleibt für immer verschollen. Angeblich kommt er 1952 in einem sowjetischen Gefangenenlager ums Leben. Dieses Ende macht den Film für deutsche Augen erträglicher, erkennt man doch, daß es Polanski nicht um schwarz-weiß gestrickte Kollektivanklage, sondern um eine differenzierte Aufarbeitung der Geschichte und der inhumanen Versuchungen des 20. Jahrhunderts geht. So wird auch dem 1952 in der Sowjetunion gefolterten und gestorbenen Offizier Wilm Hosenfeld ein Denkmal gesetzt, der Szpilman rettete. Auszüge aus Hosenfelds Tagebuch, in denen er die NS-Besatzungspolitik als unmoralisch kritisiert, wurden in Szpilmans Memoiren zitiert. Gedreht wurde im Filmstudio Babelsberg, in der Umgebung von Potsdam und an Originalschauplätzen in Warschau. Ausstattung, Drehorte und Kulissen erzeugen ein dichtes, authentisch wirkendes Bild der Lebenswirklichkeit jener Jahre. Die Verschärfung der Lebensbedingungen vollzieht sich dabei in Etappen. Unmittelbar nach der deutschen Besetzung erscheint das Leben der Menschen in Warschau noch relativ intakt, normal zu verlaufen. Zuerst erleben nur die Juden verstärkte Repressalien durch Einweisung ins Ghetto. Im Laufe der Jahre und in Folge der sich abzeichnenden Niederlage des „Dritten Reiches“ radikalisierte sich aber das Besatzungsregime zunehmend. Aus den anfänglich lieblich wirkenden Straßenzügen ist am Ende eine apokalyptische, menschenleere Trümmerwüste geworden, als wäre der Furor des Krieges mit einer großen Sense über das Land gezogen und hätte alles Leben zerstört. Es ist ein Bild, das sich umgedreht auch von vielen deutschen Städten zeichnen ließe. Wenn, ja wenn es für hiesige Filmemacher ein Thema wäre, auch einmal das Schicksal ihrer Eltern und Großeltern zu verfilmen. Doch immer noch wartet man auf die cineastische Bearbeitung von Themen wie Bombenkrieg, die Zerstörung Dresdens, die Vertreibung von Millionen Menschen aus den Ostgebieten, die deutschen Zwangsarbeiter, den stillen Tod Unzähliger in den Sowjetlagern … Roman Polanski hat mit sensibler Hand einen detailgenauen, engagierten und bewegenden Film über die Zeit des Zweiten Weltkriegs gedreht. Ein Meisterwerk, das Nerven kostet, ein Kinoerlebnis der Sonderklasse allemal.

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