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Klassenkampf und Karnickelstall

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Cato, Palmer, Exklusiv

Nach der Auflösung der SED-Prominentensiedlung in Wandlitz Anfang 1990 stand Erich Honecker faktisch auf der Straße. Gemeinsam mit seiner Frau Margot fand er Unterschlupf im Pfarrhaus von Lobetal und dann im sowjetischen Militärlazarett Beelitz. In jenen Monaten war der DDR-Liedermacher Reinhold Andert seine wichtigste Kontaktperson. Andert veröffentlichte anschließend das Interview-Buch „Der Sturz. Erich Honecker im Kreuzverhör“. Er mußte aber hinehmen, daß Honecker viele Aussagen, die ihm nicht mehr opportun erschienen, aus dem Manuskript herausstrich. Diese Aussagen reicht Andert nun nach. Sein neues Buch enthält zahlreiche interessante Fußnoten zur persönlichen und politischen Biographie Honeckers, in dessen Weltbild sich vulgäre „Klassenkampf“-Konzepte mit dem beschränkten Traum vom Schrebergarten-Idyll mischten. „Sein Ideal war, daß es allen DDR-Bürgern so gehen sollte, wie er es von zu Hause aus Wiebelskirchen gewohnt war: ein kleines Haus mit Garten, Karnickelstall und Pflaumenbaum.“ Seine fünfzehn Jahre jüngere Ehefrau Margot, die von 1963 bis 1989 als „Minister für Volksbildung“ amtierte, hatte ihn „voll im Griff“. Ihrem Einfluß ist es zuzuschreiben, daß Honecker trotz zunehmender Hinfälligkeit im Amt blieb. Die attraktive, intelligente, machtbewußte Frau wollte auf ihre Privilegien als „First Lady“ keinesfalls verzichten. Die Ehe zwischen dem verkrachten Dachdecker, der seine Berufsausbildung zugunsten einer Parteikarriere abgebrochen hatte, und der gelernten Telefonistin, die statt der akademischen Ochsentour die Überholspur einer SED-Laufbahn wählte, personifizierte das Bündnis zwischen Lumpenproletariat und Kleinbürgertum, das in der DDR den Ton angab. Ein armseliger Kultur- und Geisteshorizont tut sich auf! Auch nach ihrem Sturz waren die Honeckers unfähig zu begreifen, was sie angerichtet hatten. Den Haß, der ihnen entgegenschlug, konnten sie sich nur als direkte Folge imperialistischer Hetze erklären. Zwar beklagt Honecker, daß die Sowjetunion die DDR wie eine Zitrone auspreßte, doch er unterschlägt, daß er selber die späten Versuche seines Vorgängers Walter Ulbricht, die DDR wirtschaftlich vom großen Bruder abzunabeln, durch gezielte Denunziationen in Moskau sabotierte, nur um an die Macht zu kommen. Der DDR-Bürgerrechtler Jens Reich äußerte rückblickend: „Was waren wir für Pfeifen, daß wir uns von solchen Pfeifen regieren ließen!“ Die Servilität der DDR-Bürger wurde nur noch von der Unterwürfigkeit des linksliberalen Milieus in der Bundesrepublik übertroffen, das Honecker in den achtziger Jahren zu einem bedeutenden Staatsmann hochjubelte. Zur gleichen Zeit richtete der SED-Chef seine Hoffnungen auf eine Kanzlerschaft Oskar Lafontaines. Die beiden Saarländer trafen sich häufig – auch inoffiziell – und schmiedeten Pläne für eine deutsch-deutsche Konföderation, die die DDR wirtschaftlich stützte, ohne ihre Staatlichkeit und die Mauer anzutasten. Trotz aller Versuche Anderts, neben persönlichen Eindrücken über die Honeckers auch neue Fakten zu präsentieren (Behauptungen über die Modalitäten der Ausbürgerung Wolf Biermanns – siehe Kulturteil dieser JF-Ausgabe), strotzt das Buch nur so von den Ressentiments des Autors. Der 1944 geborene Andert entstammt einer streng katholischen Familie und gehörte einem bischöflichen Seminar an. Danach konvertierte er zum Marxismus und zur FDJ-Singebewegung. Wegen kritischer Texte wurde er 1980 aus der SED ausgeschlossen und erhielt Berufsverbot. Sein Glaube an das DDR-Über-Ich blieb davon unberührt. Daraus ergibt sich eine untergründige Verbundenheit Anderts mit Honecker, der ihn – wie er mehrfach betont – an den eigenen Vater erinnerte. Das nimmt seinem Blick und seiner Urteilskraft häufig die Schärfe. Ungewollt ist ihm das Buch zum Dokument über Vaterkomplexe und politische Infantilität geraten. Doris Neujahr Reinhold Andert: Nach dem Sturz. Gespräche mit Erich Honecker. Verlag Faber & Faber, Leipzig 2001, 206 Seiten, zahlr. Abb., 29 Mark

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