Es kommt selten vor, daß man der Zeit mit einer Einschätzung recht geben muß. Aber in diesem Fall schon: Was Kanzler Merz da über den „laizistischen“ Charakter der Bundesrepublik gesagt hat, ist barer Unsinn. Dem hätte er leicht entgehen können bei einem Blick auf die traditionelle Linie seiner Partei: von der Forderung nach einem „christlichen Staat“ in den Anfangsjahren bis zu Frau Merkels notorischem Bekenntnis zum „christlichen Menschenbild“ und ihrer Forderung, einen Gottesbezug in die EU-Verfassung zu setzen. Der Gedanke lag nahe angesichts der Tatsache, daß das Grundgesetz mit den Worten beginnt: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen …“
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Bildungsbericht in loser Folge: Angesichts des rituellen Lamentos über fallendes Niveau deutscher Schülerleistungen bei Bestnoteninflation möge man einen Blick auf unseren westlichen Nachbarn werfen. Dort wurden Anfang des Monats die Ergebnisse des französischen Abiturs bekanntgegeben. 96 Prozent der 720.000 Kandidaten haben bestanden, womit die Erfolgsquote noch höher als im Vorjahr ausfiel, wie die Erziehungsministerin Élisabeth Borne sichtlich zufrieden feststellen konnte. Allerdings verstummen die Kritiker nicht, die darauf hinweisen, daß die permanente Erweiterung der Zahl derjenigen, die die Hochschulreife erwerben – mehr als 70 Prozent eines Jahrgangs –, nur zu erreichen war durch die kontinuierliche Absenkung des Niveaus, flankiert von massivem Druck auf die Lehrer, die Noten zu schönen und „Auszeichnungen“ auch dann zu vergeben, wenn sie offenbar unverdient sind. Das, was man „Bildungssozialismus“ nennt, hat also einerseits den Anteil der Abiturienten von fünf Prozent in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf das heutige Niveau getrieben und die Erfolgsquote, die noch 1980 bei lediglich 64 Prozent lag, auf den gegenwärtigen Stand erhöht, andererseits dem traditionsreichen baccalauréat jede echte Bedeutung genommen.
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Nach der Hagia Sophia und der Chora-Kirche, den beiden berühmten christlichen Basiliken in Istanbul, die aufgrund der Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zunächst in Museen und dann in Moscheen umgewandelt wurden, droht nun einer weiteren bedeutenden christlichen Kultstätte dasselbe Schicksal. Der armenische Abgeordnete George Aslan von der pro-kurdischen Partei Gleichheit der Völker und Demokratie (DEM) reichte eine parlamentarische Anfrage zu Berichten ein, wonach die historische armenische Kathedrale von Ani, auch bekannt als Surp Asdvadzadzin – Heilige Mutter Gottes, als Moschee wiedereröffnet werden solle. Das Gotteshaus gehört zu Hunderten historischen Kirchen und Klöstern in der Türkei, die sich in einem schlechten baulichen Zustand befinden, was die Regierung gezielt zu Umwidmungen nutzt. Die Fragen des kurdischen Abgeordneten blieben allerdings ohne befriedigende Antwort. Statt dessen wurde von staatsnahen Medien angekündigt, daß demnächst die „Moschee der Eroberung“ in Ani den Gläubigen zur Verfügung stehen werde.
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Die niederländische Regierung hat beschlossen, dem Parlament kein Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung vorzulegen, da sich die sachlichen Schwierigkeiten nicht ausräumen ließen und eine Mehrheit im Reichstag eher unwahrscheinlich sei. Das bedeutet auch, daß zukünftig die Rechtslage in Europa zweigeteilt sein wird: Auf der einen Seite steht Deutschland, das seit 2024 eine Geschlechtsänderung ohne ärztliches Attest oder gerichtliche Intervention erlaubt, zusammen mit Spanien, das schon seit 2023 eine Selbstbestimmung ab dem Alter von 16 Jahren ohne zusätzliche Anforderungen ermöglicht. In der Schweiz ist die gesetzliche Geschlechtsänderung seit 2022 nur noch ein Verwaltungsakt. Norwegen erlaubt die Selbstbestimmung ab 16 Jahren ohne elterliche Zustimmung. Ähnliche Gesetze haben auch Belgien, Dänemark, Finnland, Island und Luxemburg verabschiedet, während es in Frankreich immer noch gesetzliche Regularien gibt und die ostmitteleuropäischen Staaten gegen diesen Auswuchs der Gender-Ideologie hinhaltend Widerstand leisten.
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Im Pariser Quartier Latin liegen die Quadratmeterpreise zwischen 20.000 und 30.000 Euro. Das Viertel ist schick und links, hier wohnt, wer zur gauche caviar, der „Kaviarlinken“, gehört, wie man in Frankreich sagt. Die beruft sich zwar jeder Zeit auf ihre soziale Sensibilität, möchte aber per Petition die Eröffnung eines kleinen Supermarkts – eines Carrefour City – an der Ecke Rue Vavin und Rue Bréa verhindern. Man fürchte um die „Lebensqualität“, durch die „Ansammlung von Jugendlichen“, gar „unbegleiteten Minderjährigen“, vor dem Geschäft und „Lieferungen um 6 Uhr morgens“.
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In vorgerücktem Alter ziemen sich romantische wie melancholische Anwandlungen nur in dosiertem Maß.
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Manche Debatte in der „Szene“ erinnert an Bismarcks Votum über Männer, in deren Hirnen sich die Ideen wie Karnickel vermehren.