Am Ende des letzten Beitrags blieb die Frage, ob ein Frankreich mit dem triumphal aus dem Exil zurückgekehrten Kaiser Napoleon an der Spitze eine Zukunft hatte. Mit wem sonst, hätte man fragen können, nachdem die bourbonische Thronkonkurrenz sang-, klang- und widerstandslos die Koffer gepackt hatte und abgereist war. Der stets schwer zu ermittelnde Wille der Nation, von wem sie regiert werden will, hier schien er doch deutlich erkennbar geworden zu sein.
Allerdings gab es genügend Kräfte in Europa, für die der Wille der Nation, auch der französischen Nation, kein Maßstab für politische Entscheidungsfindungen darstellte. Es tagte immer noch in Wien die Konferenz der Siegermächte, und die Zeichen dort standen offiziell auf Restauration. Man sprach von Heiliger Allianz und Legitimität der Könige. In dieser Atmosphäre störte es nicht einmal, daß man gleichzeitig in Bayern, Hannover, Württemberg, Italien oder den Niederlanden Königreiche aus der Taufe hob, von denen vorher entweder so oder überhaupt noch nie jemand gehört hatte.
Es war demnach weniger ein Europa der Legitimität der Kronen als eines der alten Familien, die sie trugen, könnte man sagen. Doch auch dieser gemeinsame Nenner kam nicht in Frage. So manche Familien konnten kaum als alt gelten. In Schweden und Neapel saßen mit Bernadotte und Murat sogar frühere Marschälle Napoleons auf dem Thron, die beide vor allem das eine gemeinsam hatten, daß sie den Chef rechtzeitig im Stich gelassen hatten. Vielleicht könnte noch heute ein Murat in Italien auf dem Thron sitzen (ein Bernadotte in Schweden tut es), aber er beging den Fehler, sich wie so viele andere nun erneut Napoleon anschließen zu wollen. Noch vor Ende des Jahres stand er vor dem Erschießungskommando.
Die Erfindung der bedingungslosen Kapitulation
So blieb denn als der kleinste gemeinsame Nenner der europäischen Politik die Feindschaft gegen Frankreichs Kaiser übrig. Was der Wiener Kongreß als Resolution in dieser Sache erließ, bedeutete im Prinzip die Erfindung der bedingungslosen Kapitulation. Mit Bonaparte werde unter keinen Umständen verhandelt. 1813 wäre er eventuell noch Partner für einen Ausgleich gewesen, jetzt nicht mehr.
Nach den Maßstäben der Zeit und den vorausgegangenen Ereignissen bedeutete das den Krieg. In Frankreich wollte diesen wohl niemand; daß man ihn gegen den Rest des Kontinents gewinnen konnte, glaubte auch kaum einer. Aber es wurde eine Frage des Selbstrespekts, den eben gerade als Personifikation des Landes willkommen geheißenen Korsen nicht wie von außen verlangt wieder abzusetzen und auszuliefern.
So wurde bei Waterloo/Belle Alliance also noch einmal ein finales Gefecht ausgetragen. Es begann dort endgültig die Phase, in der in Europa auch in militärisch aussichtsloser Lage weitergekämpft wurde. Das war noch wenige Jahrzehnte vorher in den Kabinettskriegen unüblich gewesen. Es wurde auch die Bekräftigung einer politischen Gesamtlage: Ein einzelner konnte in die Lage kommen, daß sich bedeutende Teile der nationalen Substanz für ihn opferten – heroisch, aber mit zunehmender Dauer nur von außen noch als göttliche Erscheinung interpretierbar.