Wenn es um den Ersten Weltkrieg geht, dann herrscht vordergründig seit vielen Monaten ungewohnte Harmonie. Die Schriften von Christopher Clark, Herfried Münkler, Hans Fenske und so manch anderem werden in deutschen Zeitungsredaktionen sachlich besprochen. Sie – besonders Clark – können zahlreiche Interviews geben, kommen in Rundfunk und Fernsehen zu Wort, und es scheint so, als könnte über die Jahre 1914-1918 in der Öffentlichkeit endlich sachlich und ohne groteske antideutsche Schuldzuweisungen gesprochen werden.
Aber so einfach ist das nicht. Da ist zum Beispiel die bundesdeutsche Politik, die – wenn sie überhaupt etwas zum Thema sagt – weiterhin lebhafte Alleinschuldbekenntnisse ablegt und Mitleid nicht für die eigenen, sondern für die seit 1914 im Kampf gegen Deutschland gefallenen Opfer anderer Länder zu erkennen gibt. In vorderster Linie ist hier wie stets der Bundespräsident zu finden.
Nun melden sich auch die ganz alten Streitrösser aus dem Historikermetier zu Wort, die neuerdings zwar nicht direkt angegriffen werden, aber fürchten müssen, für ihren jahrzehntelang publizierten Unfug künftig durch Mißachtung abgestraft zu werden. Die Süddeutsche Zeitung bot Anfang März dem britischen Historiker John C. G. Röhl, emeritierter Professor und Autor einer Wilhem-II.-Biographie, den Raum für einen reaktionären Mammutartikel unter der Überschrift: „Wie Deutschland 1914 den Krieg plante“.
Falschangaben, Fälschungen und willige Historiker
Das ist nun ein Produkt geworden, wie es die alliierte Kriegspropaganda vor hundert Jahren nicht hätte anders machen können. Deutschland wollte, Deutschland plante, der Kaiser begrüßte usw. – andere wollten, planten oder begrüßten gar nichts. Opfer im Ausland, wo man hinsieht. Ganz besonders Christopher Clark findet Röhls Widerwillen. So habe der doch in Zusammenhang mit der Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg tatsächlich vom „Black Game“ gesprochen. Gemeint ist damit, in einem Schwarzen Spiel sei Deutschland mit einseitiger Darstellung, Lüge, List und Fälschung ganz bewußt aus politischen Gründen eine Kriegsschuld angehängt und schließlich schriftlich aufgezwungen worden, die so nie bestanden habe.
Damit hat der ansonsten sehr zurückhaltend formulierende Clark natürlich einen wunden Punkt getroffen. Nichts fürchten die sich als Wissenschaftler ausgebenden Agitatoren aus den Reihen der deutschen Kriegsgegner mehr als die gründliche Aufarbeitung ihrer Methoden und Motive. Daß es seit 1914 und bis in die zwanziger Jahre hinein ein solches Schwarzes Spiel gegeben hat, steht dabei außer Frage. Besonders die offiziellen Verlautbarungen und die offiziell vorgelegten Dokumentenbände aus Rußland und Frankreich strotzen vor Falschangaben und Fälschungen, die völlig grundsätzliche Punkte betreffen und vor allem darauf zulaufen, durch die Unwahrheit über den zeitlichen Ablauf eine deutsche Initiative zu konstruieren, die diese Länder tatsächlich selbst ergriffen haben. Willige Historiker haben sich beeilt, dieser Variante den Anschein einer überprüften Tatsache zu geben.
Gibt es das Schwarze Spiel auch seit 1945 und bis heute? Man könnte es manchmal meinen. Da ist zum Beispiel die Sache mit der russischen Mobilmachung. Röhl stellt in seinem Artikel die Behauptung auf, sie sei am 31. Juli 1914 erfolgt und um 11.40 Uhr in Berlin bekannt geworden. Das ist so oder so ähnlich übrigens auch durchgängig in deutschen Schulbüchern zu lesen.
Rußland beschloß den Krieg und machte mobil – vor allen anderen
Nun weiß jeder, der zum Thema mehr als verlogenes Halbwissen besitzt, daß die russische Mobilmachung nicht am 31., sondern am 30. Juli öffentlich angeordnet wurde. Was am 31. Juli in Berlin eintraf, war nur die russische Ablehnung der deutschen Bitte, von der weiteren Mobilisierung abzusehen, sonst lande man noch im Krieg. Aber Gutinformierte wissen noch mehr. Die russische Mobilmachung wurde weder am 30. noch am 31., sondern am 25. Juli 1914 angeordnet. Das geschah, nachdem sich die russische Regierung samt Zar in den Vortagen mit dem eigens samt Außenminister nach St. Petersburg gereisten französischen Staatschef Raymond Poincaré zusammengesetzt und den Krieg beschlossen hatte. Dies wurde zunächst geheim gehalten und später unter einem Berg von Lüge und Fälschung verdeckt, denn dieser Zeitpunkt liegt vor allem anderen, was die Mittelmächte Deutschland und Österreich unternommen haben.
Dieser Fakt und die Tatsache seiner aufwendigen Vertuschung alleine reichen schon aus, um den Großteil der alliierten Geschichtsschreibung zum Thema zu widerlegen. Das müßte man anerkennen – zumindest wenn man kein Schwarzes Spiel spielt.