Medien bestimmen heute unsere Sicht auf die Welt. Die selbst erfahrene Alltagsrealität wird dabei oft von im TV-Programm gesehenen Bildern ergänzt, wenn nicht überlagert. Das öffnet natürlich Manipulationen Tür und Tor.
Einige Beispiele: Unter einigen weiblichen Bekannten gehört es in fortgeschrittener Stunde zur Konversation, über „diese Russinnen“ herzuziehen. „Die Russinnen“ würden die deutschen Männer erst wie die antiken Sirenen anlocken, um sich dann nur noch jeden Tag die Fingernägel zu lackieren und jene Männer finanziell auszunehmen. So ereifern sich jedenfalls besagte Bekannte. An dieser Sichtweise ändert kaum, wenn ich etwa anmerke, daß eine Sankt Petersburger Freundin vermutlich besser ausgebildet ist und weit mehr verdient als ich.
In „der Russin“ als negativem Klischee verdichten sich eigene Ängste und Selbstwertkomplexe. Als Quelle wird dabei allerdings nicht auf eigene Erfahrungen verwiesen, sondern – abgesehen von einem entfernten Bekannten, der wirklich mal vor Jahren aus irgendwelchen Gründen verlassen wurde – nur auf Medienberichte. Alte TV-Sendungen von heiratswilligen deutschen Facharbeitern, die sich in Sibirien herumtrieben, dienen so zur Errichtung gegenwärtiger Denkschablonen. Ich mache mir mittlerweile den Spaß, die Klischees durch deftige erotische Erzählungen noch zu bestärken.
„Das wurde doch alles im Fernsehen gezeigt“
Ein anderes Beispiel: Als eine Ex-Freundin vor zwei Jahren erstmals Urlaub an der Ostseeküste gemacht hatte, berichtete sie mir, daß ihr Mecklenburg gut gefallen habe. Vor allem von einem Aspekt zeigte sie sich überrascht: „Und die Leute waren sogar richtig freundlich. Ich dachte ja eigentlich schon, daß da überall nur irgendwelche Neonazis herumsitzen.“ Der „Wessi“ ist hier also völlig der „antifaschistischen“ Propaganda einschlägiger Fernsehsendungen auf den Leim gegangen, dachte ich mir.
Eine Tante wiederum erzählt im Familienkreis gelegentlich mit empörtem Tonfall über die angeblichen sexuellen Ausschweifungen heutiger Teenager. Die Mädchen würden es heute schon als 13-Jährige „mit jedem machen“, meint sie. Gangbang-Partys und perverse Ausschweifungen seien bei ihnen die Regel. Darauf angesprochen, ob sie überhaupt irgendwelche 13jährigen persönlich kenne, kommt als Antwort, daß das doch alles im Fernsehen gezeigt worden oder in einem Boulevard-Blatt zu lesen gewesen wäre – und somit ja wohl bewiesen sei. In diesen Szenarien zwischen Entrüstung und Sensationsgier ist sie so manchem Konservativen ähnlich, der zwar bei bestimmten Themen medienkritische Positionen einnimmt, bei anderen aber nur zu gerne blindlings glaubt, was ihm die Boulevardmedien so auftischen.
Ein letztes Beispiel: Gerade erst bin ich aus dem bezaubernden Budapest zurückgekehrt, und eine in Deutschland lebende ungarische Schulfreundin fragte mich nach meiner Einschätzung der politischen Lage unter der Regierung Viktor Orbáns. Es wäre ja die Rede davon, daß da ein neuer Faschismus entstünde, sagte sie. Ich antwortete ihr, kein Experte für ungarische Politik zu sein. Dennoch erschienen mir viele Maßnahmen dieser Regierung gerechtfertigt, zudem sei die westliche Kritik an Ungarn überzogen und eindeutig von linken und EU-zentralistischen Machtstrategien motiviert. Fast erleichtert antwortete sie mir: „Ja, so sagen das die Ungarn zu Hause, mit denen ich geredet habe, auch. Aber man ist selbst so verunsichert, weil in unseren Medien ganz anders darüber berichtet wird.“
Eigenen Alltagsblick schärfen
Die Täuschungen in den Medien können noch am leichtesten bei den Sendungen vieler TV-Privatsender erkannt werden, die auf der „scripted reality“ basieren. Beispielsweise sieht man in einer Szene eines RTL-Formats Fernsehmoderatorin Vera Int-Veen auf der Suche nach einem Marktleiter durch ein Einkaufszentrum hasten. In der nächsten Einstellung befindet man sich plötzlich im Büro dieses Marktleiters, bei dem es an die Tür klopft. Vera steckt kurz darauf ihren Kopf durch den Türspalt und fragt, ob er der Marktleiter sei, was er bejaht. Jeder die Medienbilder nur ein wenig hinterfragende Zuschauer könnte hier auf die Idee einer gespielten Szene kommen. Denn Veras Kamerateam muß schließlich schon vor Veras Anklopfen im Büro des Marktleiters postiert gewesen sein. Seine und Veras Überraschung und persönliche Vorstellung waren also nicht echt. In den zahlreichen „Scripted Reality“-Formaten der Privatsender, von Gerichtsshows bis „Frauentausch“, handelt es sich demnach um geschauspielerte Vortäuschungen von Realität.
Doch diese Doku-Soaps, die bereits von vielen Zuschauern für „wahr“ gehalten werden, sind nur die Spitze jenes Eisberges, der auch viele politische Sendungen umschließt.
Natürlich ist es schwer, sich zu politischen Ereignissen, die sich fernab der eigenen Wohnstätte ereignen, eine eigenständige Meinung zu bilden. Hier kann vor allem das Internet eine Hilfe sein, da man recht schnell unterschiedliche Standpunkte zu den jeweiligen Ereignissen recherchieren und vergleichen kann.
Um der täglichen Manipulation in den etablierten Medien zu entgehen, womit primär das Fernsehen gemeint sein soll, genügt eigentlich aber bereits die Schärfung des eigenen Alltagsblicks und die Entwicklung eines kritischen Medienbewußtseins. Bilder aus der Flimmerkiste sollten grundsätzlich mit den eigenständigen Beobachtungen abgeglichen werden und auffällige Unstimmigkeiten dann auch zumindest durch Leserbriefe, Onlinekommentare oder Gespräche im Bekanntenkreis publik gemacht werden.