Wie es sich um die Causa Suhrkamp, um den zermürbenden Gesellschafterstreit, das gerade angeschobene Insolvenzverfahren unter einem Schutzschirm und in Gestalt der Eigenverwaltung mit kontrollierendem Sachwalter steht, das kann man nachlesen. Was da gerade geschieht, mag soweit gehen, die Forderungen der zerstrittenen Gesellschafter gegen den Verlag aufzuheben oder gar in Eigenkapital umzuwandeln. Es kann bis zum Ausschluß eines Gesellschafters führen oder zur Beteiligung eines Investors. Vielleicht ist das gut so oder gar die einzige Chance.
Die Krise des bedeutenden Verlagshauses, dieser allerersten Adresse für belletristische und wissenschaftliche Literatur, ist symptomatisch für die Krise der Hochkultur in Deutschland. Ginge es nach der geistesgeschichtlichen und bibliophilen Bedeutung von Suhrkamp, wäre das Unternehmen „to big to fail“. Aber es geht um juristische Sachverhalte und um Zahlen, und indem es – wie immer – zuerst darum geht und nicht etwa um Ideen, Geist und den schwer zu beziffernden Wert von Kunst, befindet man sich in einem typischen bundesdeutschen Drama, für dessen Verlauf es ausreicht, sich in gängigen Vorabendserien auszukennen. Was bei Suhrkamp an Possen und Tragödien geschieht, das kennen wir in etwa aus „Dallas“, aus rührend-aufregenden Filmchen um Brauerei- oder Weinbergdynastien oder aus dem, was Erbengemeinschaften so aufführen.
Da ist der Patriarch, der als Legende gilt, weil er eine Erfolgskarriere hinlegte, die so nur in der Nachkriegsgeschichte möglich war. Befand man sich damals kompetent, entschlußfreudig und mit einer Vorliebe für Hermann Hesse zur rechten Zeit am richtigen Ort, wurde es auch etwas mit einem. Man ziehe ins Kalkül, was Siegried Unseld Peter Suhrkamp verdankt, und man vergleiche beider Lebensläufe vor dem Hintergrund der Verlagsgeschichten und –spaltungen von S. Fischer und Suhrkamp. Jedenfalls saß der fünfundreißigjährige Unseld nach dem Tod seines Gönners 1959 umfassend gesichert im Verlag, setzte sich gegenüber seinen Mitbestimmung einfordernden Lektoren in der souveränen Manier eines Autokraten durch und verstand es, jene Autoren an sich zu binden, die für Literatur und Wissenschaft jener Jahre erstrangig waren.
Vermutlich machen alle ihren Schnitt
Daß der Mann zahlreiche Affären hatte, gewann erst mit der letzten Einfluß auf das Unternehmen. Er hievte seine Geliebte und spätere zweite Ehefrau in die Chefetage, konstruierte zu deren Gunsten eine „Familienstiftung“, enterbte den Sohn aus erster Ehe und hinterließ auf diese Weise ein Haus, in dem die weiteren Dramolette programmiert waren: das Ausscheiden des Gründungsgesellschafters Reinhart, der Zoff im Beirat, der Weggang des Geschäftsführers Günter Berg, der Eintritt des sinistren neuen Gesellschafters Hans Barlach, der teure Umzug nach Berlin, der Verkauf des eigenen Archivs und vor allem die peinlichen Querelen um den Zaster zwischen den Gesellschaftern.
Ursula Schmidt, verheiratete Unseld, die sich nach dem Namen ihrer jüdischen Großmutter Berkowitz den Künstlernamen Berkèwicz generierte, ist mit von Unseld geförderten Veröffentlichungen sogar literarisch ausgewiesen, wenngleich sie kaum gelesen wird. Ihre wichtigste Qualifikation dürfte darin bestanden haben, Geliebte und Ehefrau von Unseld gewesen und schließlich dessen Witwe geworden zu sein. Und an Hans Barlach, dem findigen Unternehmer, ist zweierlei groß – zum einen sein Nachname, zum anderen rechtliche Befugnisse, die weit über das für Minderheitsbeteiligungen ansonsten Übliche hinausgehen. Daß es ihm statt um Literatur prioritär um hohe Ausschüttungen geht, offenbart nicht allein das Prozeßgebaren, sondern ebenso seine Forderung, der Verlag möge sich doch bitte auf die Verwertung der reichen Backlist zurückziehen und besser gar nichts Neues mehr auflegen.
Mag wohl sein, es sind nach langem Grabenkrieg beide, die Witwe und der ihr feindlich gesonnene zweite Gesellschafter, am Ende. Beiden bleiben die markanten Namen ihrer Großeltern, ihr zudem der Posten als Vorsitzende der für sie geschneiderten Familienstiftung, beiden zum Trost auch noch ein paar Millionen. Es wird zu prüfen sein, was der Insel-Verlag mit seinen alten Rechten, was der Deutsche Klassiker Verlag, der 1991 eigens erworbene Jüdische Verlag und der erst 2007 gegründete und reichlich geförderte Verlag der Weltreligionen noch bringen. Vermutlich räumt man das unübersichtliche Sammelsurium auf oder schlachtet es gleich aus. Was offenbar betriebswirtschaftlich nötig ist. Vermutlich machen alle ihren Schnitt, am wenigsten, wie stets, die Autoren.