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Franziskus, Naphta und Michail

Franziskus, Naphta und Michail

Franziskus, Naphta und Michail

 

Franziskus, Naphta und Michail

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Sollte mich der Papst etwas angehen? Ich bin kein Katholik, mehr noch, ich lebe riskant ungetauft und ohne jedes Bekenntnis. Mir unvorstellbar, je eines im vollen Glauben sprechen zu können. Fast ein bedenkliches Alleinstellungsmerkmal in sich konservativ verstehenden Kreisen. Gleichwohl bin ich ein Bewunderer des Christentums und insbesondere des Katholizismus.

Selbstverständlich stehen die Bibel, der katholische Katechismus, Nikolaus von Kues, Meister Eckhart und insbesondere Karl Rahner und Joseph Ratzinger nicht nur in meinem Regal, sondern waren mir regelmäßig Lektüre. Ich bewundere ebenfalls Paulus, den man als ersten Theologen verstehen darf; und vermutlich hätte ich auf dem Zauberberg dem Jesuiten Naphta zugestimmt, Settembrini weniger.

Aber darum geht es nicht. Mich verblüfften ebenso wie andere die Gesten des neuen Papstes, angefangen mit dem gewählten Namen. Franziskus war immerhin ja wohl ein Rebell. Alle anderen Überraschungen sind in ihren Besonderheiten und ebenso in ihrer Fragwürdigkeit ausführlich und kontrovers beschrieben worden.

Fehlende Authentizität

Zunächst empfinde ich es als sehr lebendig, wie markante Auftritte auf Menschen wirken, wie noch das Einfachste, aber Eindrucksvolle zu sensibilisieren und Gefühle wie Gedanken anzuregen vermag. Es gehörte beispielsweise für „Europa“ – das man mit Blick auf die EU besser nur noch apostrophiert schreiben sollte – nicht viel dazu, gerade im Auftreten, in der Haltung, im Zugehen auf Menschen Zeichen zu setzen, wenn es die Defekte der Systeme, Apparate und Programme, wenn es die Paragraphen und Sprachregelungen schon nicht zulassen.

Aber wo Politikern das Format längst fehlt, da haben sie auch nicht mehr das Zeug zum authentischen Auftritt. Überhaupt ist ja immerfort von Authentizität die Rede, weil sie allerorten so vermißt wird. (Kam nicht Ex-Umweltminister Röttgen noch mit dem Rad zur Atom-Konferenz?)

Was mit dem neuen Papst nichts zu tun hat: 1985 war ich verblüfft, als ich in der Trauerrede auf das gerade verstorbenen Staatsoberhaupt der UdSSR, Konstantin Tschernenko, einen ungewöhnlich neuen Ton ausmachte. Mehr zunächst nicht. Die Rede wurde von einem mir bis dahin unbekannten Politbüromitglied gehalten, Michail Gorbatschow. – Nun ist es sicher blasphemisch, die erstarrte Sowjetunion mit der katholischen Kirche zu vergleichen. Nur: Der Aufmerksame nimmt Veränderungen wie seismographische Amplituden wahr. Und tatsächlich geschah 1985 ff. historisch Unerwartetes.

Die Geister, die er rief, wurde Gorbatschow nicht los

Noch etwas bewegt mich, ohne daß ich orakeln wollte: Diejenigen, die Veränderungen auslösen, wissen letztendlich nie um deren Konsequenzen. Um im Bild des vorigen Absatzes zu bleiben: Man kann sicher eine Menge von Gorbatschow, von seiner Perestroika und von Glasnost halten, und man darf ihm sehr dankbar sein. Aber „Gorbi“ selbst war nicht klar, konnte gar nicht absehbar sein, daß er zum Vollender und Vollstrecker im und am Ostblock würde. Die Geister, die er rief, wurde er nicht los. Wir alle nicht! Und diese Wende begann mit Worten und Gesten …

Wiederum von außen betrachtet, aus einer Perspektive, die Vorteile hat, wenngleich ihr kein Urteil ansteht: Viele verlangt es nach Reformen innerhalb der katholischen Kirche. Nur: Wäre es dann – im altgriechischen Wortsinn – noch die katholische Kirche? Eine Societas perfecta? Eingedenk dessen, daß es bereits eine Vielzahl reformierter Kirchen gibt? Liturgie, Formen und Ämter binden und halten zusammen. Ihr „System“ zu verändern, dürfte riskant sein. Man muß dazu nicht gleich bei Luhmann nachlesen, viel eher bei Carl Schmitt: „Römischer Katholizismus und politische Form“.

Vielleicht stimmte ich Naphta beim Lesen des „Zauberbergs“ zu spontan zu; vielleicht denke ich zuviel über den Großinquisitor bei Dostojewski nach. Und Thomas Mann, der leistete sich durchaus einen Vergleich von Jesuitismus und Sozialismus. Was hier freilich nicht Thema ist.

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