Einzel- und Gruppenbewußtsein stehen ihrer Natur nach also in einem Gegensatz. Wo der eine herrscht, muß der andere weichen. Nicht als starre Grenze, sondern als lebendiges Wechselspiel von Protagonist und Antagonist ist sich dieses Verhältnis vorzustellen, mit sich stets verändernden Grenzverläufen. An den uns nun schon bekannten Beispielen von Hund und Ameise sei das verdeutlicht.
Der Hund besitzt ein vergleichsweise ausgeprägtes Einzelbewußtsein. Wenn er sein Revier durchstöbert und auf eine Fülle von Sinnesreizen stößt, verarbeitet er diese mit seinem Bewußtsein und entwickelt aus diesem heraus eine Reihe komplexer Entscheidungen. Was sagt mir dieser Geruch? Ist hier ein fremder Hund vorbeigekommen? Lief dort ein mögliches Beutetier? Droht mir Gefahr?
Die einzelne Ameise dagegen hat kaum ein Bewußtsein. Wenn sie das Gebiet um ihr Nest durchstreift, reagiert sie auf Umweltreize mit einer Abfolge von Handlungen, welche ihr der Instinkt vorgibt. Ameisen laufen nicht gemeinsam auf einer Straße oder bringen gemeinsam Beute ins Nest, sondern eine folgt ihrer Vorgängerin, macht das gleiche wie sie, beinahe maschinenhaft, unseren heutigen Robotern nicht unähnlich.
Anders dagegen sieht es aus, wenn das Gruppenwesen eingreift, um sich durch Fortpflanzung seiner Elemente selbst zu regenerieren. Ein Hund reagiert auf Sexualreize mit einer Abfolge von Handlungen, welche ihm der Instinkt vorgibt. Beinahe maschinenhaft erfolgt die Paarung und fällt deutlich hinter den raffinierten Fortpflanzungsformen zurück, welche die verschiedenen Ameisenarten ersonnen haben.
Ein anderes Verhältnis ist kaum denkbar
Anders ist dieses Verhältnis auch kaum denkbar. Man stelle sich ein dem Ameisenstaat ähnliches Gruppenwesen vor, dessen Elemente aber ein dem Hund ähnliches Einzelbewußtsein besitzen. Schnell wird man zu dem Schluß gelangen, daß dieses Gruppenwesen kaum lebensunfähig wäre. Schon einfachste Dinge wie Nahrungssuche und Verteidigung werden so zu kaum beherrschbaren Problemen.
Wölfe oder wilde Hunde, die ein Rudel bilden, koordinieren untereinander den Beutefang. Die Auswahl eines geeigneten Jagdgrundes, einer geeigneten Beute, einer geeigneten Vorgehensweise und so weiter sind alles Dinge, die von der Fähigkeit der einzelnen abhängen. Der erfahrene Wolf lockt die Herde ins Dickicht, spaltet von ihr das schwächste Tier ab und tötet es. Der Unerfahrene lernt von ihm.
Auch einige Ameisenstaaten kennen die Treibjagd. Aber nicht ein Dutzend Mitglieder, wie das Wolfsrudel, sondern Millionen und Abermillionen von Ameisen gehen hier auf die Jagd. Doch was sich von außen wie ein militärstrategisches Meisterstück ausnimmt, welches einem Alexander oder Friedrich dem Großen zur Ehre gereicht hätte, für die einzelne Ameise ist es ein Abarbeiten von Instinkten.
Ein Kampf bis zur völligen Vernichtung
Die einzelne Ameise kann nicht mit anderen einen koordinierten Angriff durchführen. Sie greift eine Schmetterlingsraupe ebenso an, wie die stöbernde Nase eines Hundes. Sie greift einzeln ebenso an, wie zu tausenden. Und das wichtigste vor allem: Sie greift an, auch wenn es ihren sicheren Tod bedeutet. Denn sie besitzt kein Bewußtsein davon, daß sie ein Einzelwesen ist, das nun zugrunde geht.
Bei einem Hund liegt die Sache anders. Er kann sich durchaus entscheiden, ob er angreift, oder doch besser die Flucht ergreift. Und ist der Widersacher mächtig, so wird das Rudel zersprengt und verstreut. Warum auch nicht, es braucht doch nur einen Rüden und eine Hündin, und nach zwei, drei Generationen ist aus den einzelnen Elementen wieder ein neues Gruppenwesen erstanden.
Dem hochentwickelten Gruppenwesen der Ameise ist dieser Weg nicht mehr möglich. Nur in der Vereinigung spezialisierter Geschlechtsorgane, die unser Auge als Einzelheiten wahrnimmt, kann es neu erstehen. Bei einem Angriff kann es daher für die übrigen Elemente nur einen Kampf bis zur völligen Vernichtung geben. Und was ihnen an Koordinationsfähigkeit abgeht, gleichen sie durch die Flut ihrer Leiber aus.