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Konstruktives Mißtrauen

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Konstruktives Mißtrauen

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Der 27. April 1972 war sicher einer der wichtigsten Tage der neueren deutschen Geschichte. An diesem Tag scheiterte der Versuch, den sozialdemokratischen Kanzler Willy Brandt durch den Christdemokraten Rainer Barzel zu ersetzen, auf dem Weg über ein konstruktives Mißtrauensvotum des Bundestags. Damit war auch eine Vorentscheidung über das neue bundesdeutsche Selbstverständnis gefallen, denn bereits einen Monat später ratifizierte der Bundestag die Ostverträge der Regierung Brandt-Scheel.

Man gab darin so radikal wie möglich weg, was einem nicht gehörte. In den Ostverträgen wurde auf ein gutes Fünftel Deutschlands verzichtet, völkerrechtlich gesehen zwar nicht endgültig, da dem Bundestag und seiner Regierung dazu die verfassungsrechtliche Kompetenz fehlte, politisch gesehen aber kaum rückgängig zu machen. Eine irgendwie angemessene Gegenleistung dafür war nirgendwo in Sicht.

Je mehr man sich mit diesem Vorgang beschäftigt, desto befremdlicher mutet er an. Die Abstimmung über Barzels Mißtrauensvotum stellte sich später als veritable Kriminalgeschichte heraus. Eigentlich hatten sich die Christdemokraten im Vorfeld der Abstimmung eine Mehrheit gesichert. Als sie dann nicht zustande kam, vermutete man sofort dunkle Machenschaften und Bestechung, und zwar zu Recht. Tatsächlich hatte die Staatssicherheit der DDR wohl etwas Geld verteilt. Zwei Abgeordnete der CDU, Julius Steiner und Leo Wagner, sollen für ihr abweichendes Stimmverhalten jeweils fünfzigtausend Deutsche Mark erhalten haben. Das war auch damals zwar eine nette Summe, aber nicht wirklich viel Geld.

Die Profiteure der Brandtschen Ostpolitik

Julius Steiner bezichtigte sich recht bald selbst, man könnte auch sagen, er prahlte mit Barzels Niederlage. Seine Biographie weist ihn tatsächlich als „bunten Hund“ mit geheimdienstlichen Neigungen aus. So arbeitete er für den französischen Geheimdienst, für den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg und den Bundesnachrichtendienst. Nun kam das Ministerium für Staatssicherheit dazu. Leo Wagner stritt dagegen ab, bestochen worden zu sein, als er nach dem Mauerfall durch die in Ostberlin gesicherten „Rosenholz-Dateien“ mit diesem Vorwurf belastet wurde.

Das mag er zu Recht getan haben, denn ob der Inhalt dieser Dateien die Beschlagnahme durch die CIA im Chaos der späten DDR und den mehr als ein Jahrzehnt dauernden Aufenthalt in den USA schadlos überstanden hat, wird ernsthaft niemand sagen können. Man wird auch nicht sagen können, daß die CDU im Frühjahr 1972 nur am Auskauf weniger Abgeordneter gescheitert sei.

So stimmte sie schließlich zwar nicht für die Ostverträge, aber auch nicht dagegen. Immerhin wird an diesen Verstrickungen ansatzweise deutlich, wie sehr sich die Profiteure der Brandtschen Ostpolitik in Ost und West im Grunde einig waren. Gegenüber den Hintergründen von Beschlüssen des bundesdeutschen Bundestags ist eigentlich jederzeit konstruktives Mißtrauen angebracht.

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