Ich dachte zum Fall Nadja Drygalla könnte man nichts mehr beitragen, außer vielleicht ein resigniertes Kopfschütteln. So viel ist auf allen Seiten über die Olympia-Ruderin in den vergangenen Wochen gesagt und geschrieben worden.
Doch obwohl viele Journalisten versuchten, sich gegenseitig an Unverschämtheiten zu überbieten, kam das Ärgste diesmal von der Evangelischen Kirche: Deren Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider hat von Drygalla eine ernst gemeinte Abkehr vom Rechtsextremismus gefordert. In der Bibel stehe, „wenn ein Gottloser von seiner Gottlosigkeit umkehrt, so soll´s ihm nicht schaden, daß er gottlos gewesen ist“, sagte Schneider der Welt.
Und dazu muß man dann doch noch etwas sagen.
Von der Sünde reingewaschen
Eine derartige Forderung zur Abkehr hört man ja nicht zum ersten Mal: Regelmäßig muß sich jemand in Deutschland von etwas „distanzieren“, sich „entschuldigen“ und eine „Grenzen ziehen“.
Das Sühne- und Reueritual läuft immer gleich ab, egal ob der heilige Boden der Demokratie oder der politischen Korrektheit tatsächlich verlassen wurde oder nicht. Der Anschein, daß dies möglicherweise geschehen ist, reicht aus. Dafür sorgt die hiesige Presse.
Leistet der „Schuldige“ dann seine Sühne korrekt ab, hat er noch die Chance, von seiner Sünde reingewaschen zu werden. Daß dieses Prozedere einen pseudoreligösen Charakter hat, ist nicht neu, doch so offen ausgesprochen wurde das bisher nicht.
Der EKD-Vorsitzende Schneider ist da anders. Er hat es geschafft, diesem äußerlichen Ritus der gesellschaftlichen Buße zusätzlich einen inhaltlichen Bezug zum christlichen Glauben zu geben. Für Schneider scheinen Gott und Demokratie ein und dasselbe zu sein. Und weil Rechtsextremismus eine Ablehnung der Demokratie ist, kann er wiederum mit Gottlosigkeit gleichgesetzt werden.
So scheint Drygalla für Schneider ein gottloser „Nazi“ zu sein, der von seiner Gottlosigkeit (sprich Demokratiefeindlichkeit) abkehren soll. Wenn sie das tut, läßt sie sich noch retten. Sonst soll ihr die gerechte Strafe, also die Vernichtung ihrer sozialen Existenz, zuteil werden.
Das Wort Gottes dem Zeitgeist angepaßt
Was für einen schönen, runden Vergleich Schneider macht, aus Sicht der religiösen Gutmenschen, für die die Kirche nichts weiter ist als eine sich politisch engagierende Caritas-Organisation, in der das Wort Gottes immer schön politisch passend und dem Zeitgeist gemäß ausgelegt wird.
Ich frage mich, was sich Schneider als Vorsitzender der traditionsreichen Evangelischen Kirche Deutschlands hier wohl gedacht hat. Vielleicht nicht viel, da denken auch wirklich anstrengend sein kann. Und so wie sich Schneider seine Religion zurechtlegt, deutet nichts auf derartige Bemühungen hin, sondern viel mehr auf Bequemlichkeit.
Während Schneider auf der einen Seite Gott zurechtschneidet, erhöht er gleichzeitig eine vom Menschen erfundene Regierungs- und Gesellschaftsform zu etwas Heiligem und Unantastbarem. Eine solche Verhaltensweise ist einem Präses schlichtweg unangemessen.
Immerhin, eins muß man Schneider trotzdem lassen: Er nennt das Kind endlich beim Namen und gibt, wenn auch unabsichtlich, zu, welche Götzen hierzulande angebetet werden: Nun ist die Demokratie auch offiziell zum goldenen Kalb geworden.