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Von der Gleichheit – Teil II

Von der Gleichheit – Teil II

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Von der Gleichheit – Teil II

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Es wurde dargelegt, daß man von der sinnlichen Wahrnehmung ausgehend niemals zu einer Vorstellung von der Gleichheit des Menschen gelangen kann. Denn sobald ich den Menschen in seiner Körperlichkeit wahrnehme, nehme ich ihn bereits als einen anderen wahr. Nun könnte man sagen, daß diese Wahrnehmung eben unvollständig sei: Wie ich auch nicht durch meine Sinne, sondern erst durch meine Vernunft wahrnehme, daß die Winkelsumme des Dreiecks stets 180 Grad beträgt, so vielleicht auch hier?

In der Tat sind sämtliche Gleichheitsvorstellungen erst durch den Eingriff der menschlichen Vernunft möglich. Die menschliche Gleichheit ist nichts, das sinnlich wahrgenommen, sondern nur vernunftmäßig durchdacht werden kann. Das ist mit aller Deutlichkeit festzuhalten. Es stellt sich daher die Frage, wenn nun nicht durch die Sinne, ob man vielleicht durch die Vernunft zur menschlichen Gleichheit gelangen kann? Dabei ergibt sich allerdings eine Schwierigkeit, die meistens übersehen wird.

Jede mehr oder minder überzeugenden Darlegungen menschlicher Gleichheit geschieht vor einem kulturellen Hintergrund. Denn der Begriff der Gleichheit, so soll nun gezeigt werden, setzt notwendig einen konkreten Menschen voraus, der das sinnlich Wahrgenommene mit seiner Vernunft verarbeitet und Aussagen trifft. Der konkrete Mensch, das ist aber ein Mensch, der bereits wesentliche Bestimmungen besitzt, die ihn von anderen unterscheidet. An einem Beispiel sei dies verdeutlicht.

Es gibt in der deutschen Sprache zwei Redewendungen, die verdeutlichen sollen, wenn man etwas als gleich beziehungsweise ungleich erachtet. Zum einen sagt man, daß das wie ein Hühnerei dem anderen gleiche. Zum anderen sagt man, daß hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. Eingängige Redewendungen, deren Herkunft aus einer bäuerlichen Gesellschaft leicht zu erkennen ist. Warum ist das von Wichtigkeit? Weil diese konkrete Gesellschaft für die Gleichheitsvorstellung verantwortlich ist!

Gesellschaften sind für Gleichheitsvorstellungen verantwortlich

In dem einen Fall merkt man, wie das Ei ein Nahrungsmittel war, deren besondere Eigenschaften ohne Belang sind. Das heißt, hier ist das Allgemeine interessant, nicht das Besondere. In dem anderen Fall spürt man aber geradezu den Stolz des Bauern, mühselig und über Generationen hinweg die verschiedenen Obstsorten gezüchtet zu haben. Hier ist das Besondere interessant, nicht das Allgemeine. Das Allgemeine, da interessiert nur, daß es ist. Das Besondere, da interessiert auch, wie es ist.

Stellen wir uns nun eine Gesellschaft vor, welche es in der Domestikation des Kernobstes nur zu einer geringen, in der des Huhns aber zu einer außergewöhnlichen Höhe gebracht hat. Für diese wäre ersteres nur ein Nahrungsmittel zur Lebenssicherung, letzteres aber ein Kulturgut, auf deren besonderen Eigenschaften man Wert legte. Diese Gesellschaft hätte womöglich für Apfel und Birne keine eigenen Namen gefunden, sehr wohl aber für die verschiedenen Hühnerrassen und den jeweiligen Ausformungen des Hühnereis.

Was ist nun aus unseren scheinbar so allgemeingültigen Redewendungen geworden? Die Menschen dieser Kultur könnten sie ganz einfach nicht mehr verstehen. Sie könnten nicht verstehen, wieso wir bei Kernobst zwischen Apfel und Birne unterscheiden. Das ist doch dasselbe: gleiche Farbe, Form, Geschmack und so weiter. Und sie könnten nicht verstehen, wieso für uns alle Hühnereier gleich sein können. Das sind doch unterschiedliche Farben, Formen, Geschmäcker und so weiter.

Wir sehen, in diesen scheinbar banalen Sätzen zur Gleichheit und Ungleichheit schwingt unsichtbar verborgen unsere ganze Kultur mit. Der Apfelbaum wurde von den Germanen selbst kultiviert und als Lebensfrucht geheiligt. Das heutige Haushuhn dagegen wurde von den Römern domestiziert und von diesen flächendeckend als günstiger Eier- und Fleischlieferant nördlich der Alpen eingeführt. Und aus dieser Kultur heraus haben sich spezifische Gleichheits- und Ungleichheitsvorstellungen entwickelt.

Ob ich etwas als gleich oder ungleich erachte, wird also durch mich als konkreten Menschen bestimmt. Ein anderer Mensch aus einer anderen Kultur wird andere Dinge als gleich und ungleich erachten. Es gibt keine von mir unabhängige Gleichheit oder Ungleichheit, sondern stets bin ich es, der sagt: Das ist gleich! Das ist ungleich! Könnte es daher sein, daß dies auch für die menschliche Gleichheit gilt? Daß nur konkrete Menschen eines bestimmten kulturellen Hintergrundes Gleichheitsvorstellungen entwickeln konnten?

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